Sonntag, Mai 31, 2009

Rancid - Let The Dominoes Fall


Punkrock mit Ska, Herz und Straßengeruch. Tim Armstrong trägt keinen Iro mehr. Er hat mittlerweile ein Spinnennetz auf seinem Kopf. Tätowiert selbstverständlich. Dafür trägt jetzt Rancids neuer Schlagzeuger Brenden Steineckert einen Iro. In den Videos und auf den Fotos, die rund um das neue Rancid-Album Let The Dominoes Fall zu Promozwecken durch das Internet geistern, sieht das etwas gezwungen aus. Steineckert, der vorher bei The Used in Sachen Screamo unterwegs war, will jetzt offenbar unbedingt ein Punkrocker sein.

Optisch fällt nun eher Bassist Matt Freeman aus der Reihe, der immer noch so unauffällig aussieht wie John Doe. Akustisch fiel Freeman ja schon immer aus der Reihe. Der Mann ist ganz einfach der beste Rockbassist seiner Generation. Umso schöner, dass er nicht bei irgendeiner verkopften Avantgarde-Metal-Formation spielt, sondern bei Rancid, die ihrem Namen auf Let The Dominoes Fall mehr als gerecht werden.

Auf ihre eigene Weise hat die Band, die ja auch schon seit 20 Jahren dabei ist, ihren Stil mittlerweile perfektioniert. Sie brauchen kein Ska-Album (Life Won’t Wait) mehr zu machen, keine Hardcore-Platte (Rancid 2000) mehr, und ihre letzten Ängste vor Popmusik haben sie spätestens auf Indestructible zerstört. Let The Dominoes Fall klingt stimmig, ungezwungen und homogen, trotz seines Variantenreichtums. Aber es braucht seine Zeit.

Die ersten Hördurchgänge lassen den Hörer nämlich etwas indifferent zurück. Zunächst schmeckt die Platte weder nach Fisch noch nach Fleisch. Dann pfeift sie durch die Gehörgänge, ohne Spuren zu hinterlassen und schließlich riecht sie ein wenig abgestanden.

Nach einigen Durchgängen schälen sich dann aber die Melodien aus den Songs und was man eben noch irgendwie überhört haben muss, drängt sich in den Vordergrund. Tim Armstrong lamentiert sich schludriger als je zuvor durch die Songs, flüstert, schreit, nuschelt, versucht zu singen. Freemans anbetungswürdige Bassläufe und der unauffällig, aber gut aufspielende Steineckert halten, die Songs in der Spur.

Stilistisch schöpfen Tim Armstrong und Konsorten aus dem Vollen. Brecher wie This Place wechseln sich ab mit Tanznummern (Up To No Good), Mitgröhl-Songs (Last One To Die) und Nummern, die fast schon an Heartland-Rock (New Orleans) und Country (Civilian Ways) erinnern. Herrlich, wie Armstrong in Damnation dem schnellen Rock’n’Roll-Feeling hinterher stolpert, bevor er dann den Refrain übergenau intoniert. Auch Liberty And Freedom lebt vom Gegensatz zwischen der punktgenauen Musik und den hingerotzten Texten.

Ska-typisch bricht immer mal wieder eine Orgel den Dreiklang aus Schlagzeug-Bass-Gitarre auf und verhilft Let The Dominoes Fall zu einer fast schon relaxten Atmosphäre (Up To No Good, That’s Just The Way It Is Now). Wie immer übernehmen auch Lars Frederiksen und Matt Freeman ab und zu das Mikro. Mit Frederiksen klingt alles nach Maximum Punkrock, Freeman hingegen setzt die etwas abseitigeren Akzente. Und – erwähnte ich das schon? – der Typ kann Bass spielen! 8/10

Anspieltipps: Up To No Good, Damnation, New Orleans

Donnerstag, Mai 21, 2009

Ladyfinger (ne) - Dusk


Rhythm’n’Noise. Es ist schön, dass eine Band wie Ladyfinger (ne) eine Chance bei Saddle Creek bekommt, obwohl sie so überhaupt in das grundsätzlich eher ruhige Klangschema des kleinen Labels passt. Schon das Debut Heavy Hands war eher eine Platte für Krachliebhaber. Ladyfinger (ne) haben diesen Aspekt auf ihrer zweiten Platte eher noch ausgebaut und sowohl ihre Stärken als auch einige Schwächen mitgenommen.

Damit am Ende nicht das große Aber kommt, fangen wir mit den Schwächen an. Sänger Chris Machmuller strapaziert auch Hartgesottene irgendwann mit seiner Stimme. Irgendwie vermutet man immer einen langhaarigen Kuttenträger hinter dem Mikro, der 20 Jahre lang in einer Metalband gesungen hat und nicht mehr anders kann, egal, wie sehr er sich anstrengt. Gepresst und gezwungenen trägt er seine Texte vor. „Warum so steif? Mach dich ma’ locker!“, möchte man ihm entgegen schreien.

Das andere Problem betrifft das Schlagzeug. Nicht, dass Drummer Pat Oakes einen schlechten Job machen würde. Aber auf Dauer wirkt sein Getrommel arg penetrant, so weit ist es in den Vordergrund gemischt. Auf der anderen Seite hat die starke rhythmische Betonung schon auf Heavy Hands den Sound der Band ausgemacht. Und wenn Oakes und Bassist Ethan Jones am Ende von Read The Will gerade zu stoisch am Song festhalten, während der Rest der Band schon die Mittagspause gegangen ist, wird klar, dass genau diese Tatsache eine Stärke der Band ist.

So hackt sich in den meisten Songs die Rhythmusfraktion mit einer Energie durch Strophen und Refrains, dass es eine Freude ist. Dass Gitarren und Gesang da in Sachen Energie immer einen Schritt hinterher sind, macht den Charme der Band aus. Leider schaffen die vier es nicht immer, so zwingende Lärmwände zu errichten wie in A.D.D. oder Work Party. Plans verliert sich nach der halben Spielzeit in Gewaber und Belanglosigkeit. Vielen der Songs hätte eine straffere Produktion bestimmt gut getan. Ausnahme ist das siebenminütige Abschlussstück Born In The Eighties, in dem die Band es auf den Punkt genau schafft, ihre rhythmische Unerschütterlichkeit einen energischen Noiserocker zu verwandeln, ohne, eintönig und langweilig zu klingen. 6/10

Anspieltipps: A.D.D., Read The Will, Born In The Eighties

Mittwoch, Mai 20, 2009

Propagandhi - Supporting Caste


Punk-Prog-Rock-Metal-Polit-Hardcore. Propagandhi finden seit jeher Unterschlupf im harten Kern der Punkrock-Szene, ganz in der Nähe von Bands, die sich politisch engagieren (wie Propagandhi auch), seit Jahren ihren Stil durchkloppen (wie Propagandhi auch) und eben einfach Punkrock sind (wie Propagandhi – nein…) Eben nicht wie Propagandhi.

Die Kanadier setzen sich auf Supporting Caste – wie immer – zwischen diverse Genre-Stühle und hocken mit jedem ihrer vier Buchstaben mehr oder weniger auf einer Ecke. Klar ist das hier Punkrock. Man höre nur Potemkin City Limits! Klar ist das hier Hardcore. Man höre nur This Is Your Life! Klar ist das hier Metal. Man höre nur Supporting Caste!

Was alle Propagandhi-Alben zusammenhält, ist die pedantische Präzision, mit der die Band ihre Musik einspielt. Die Songs sind allesamt mindestens zwei Nummern komplexer als der Punkrock-Standard. Übergänge, Breaks und verschiedene Songteile passen aber immer wie Arsch auf Eimer. Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Bridge, Refrain gibt es auch auf Supporting Caste nicht. Aktives Hören lohnt sich. Immer wieder werfen Propagandhi dem Hörer eindringliche Melodiebruchstücke vor die Füße, wie in Tertium Non Datur. Nur um gleich darauf alles wieder niederzuwalzen.

Aber auch die Texte haben es wieder in sich. Chris Hannah weiß seine Worte als Waffe zu benutzen. Mit seinem Vokabular erscheint er manchmal wie der Streber-Bruder von Greg Graffin. Da George W. Busch nicht mehr im Amt ist, besinnt er sich diesmal auf persönlichere Themen und lässt die große Politik erstmal in Frieden. Without Love beispielsweise ist ein für Propagandhi-Verhältnisse geradezu anrührendes Liebeslied.

Leider fehlt einigen Songs auf Supporting Caste das gewisse Etwas, das Alleinstellungsmerkmal, der geniale Einfall, der den Song aus der Masse hervorhebt. So wabert Human(e) Meat (The Flensing Of Sandor Katz) ein wenig ziellos in der Gegend herum. Und The Banger’s Embrace lässt nach einem großartigen Anfang nach. Auf der anderen Seite stehen Stücke wie das eindringliche Dear Coach’s Corner oder der epische Abschlusstrack Last Will & Testament, bei dem sich Chris Hannah verbal so lange wie nie zuvor zurückhält. 7/10

Anspieltipps: Dear Coach’s Corner, Potemkin City Limits, Without Love

Sonntag, Mai 17, 2009

Green Day - 21st Century Breakdown


Protestoper. Fünf Jahre heben Green Day für den Nachfolger zu American Idiot gebraucht. Fünf Jahre, in denen viel passiert ist. Das offensichtlich wichtigste: W. ist nicht mehr Präsident der USA. Der Punkrock hat seinen Lieblingsfeind verloren. Worüber soll man jetzt noch Songs schreiben? NOFX zum Beispiel besinnen sich ihrer Wurzeln und machen wieder Nonsens, Propagandhi haben ihrer Inneres gefunden und singen jetzt sogar Liebeslieder. Und Green Day?

Die drei aus Oakland gehen ihren Weg ziemlich konsequent weiter. Schließlich ist seit dem 20. Januar nicht alles Friede, Freude, Pancake in den Vereinigten Staaten von Amerika. 21st Century Breakdown ist also abermals ein Konzeptalbum geworden. 3 Akte, 18 Songs, 2 Protagonisten, Politik, Religion und die Liebe handelt Billie Joe Armstrong auf 70 Minuten ab. Das ist viel Zeit, aber auch der ganz große Rundumschlag. Der rote Faden ist die Geschichte des pyromanisch veranlagten Christian, der immer auf der Suche nach Ärger ist und der idealistischen Gloria, in die Christian sich natürlich verlieben muss.

Green Day verpacken die sympathisch klischeehafte Story in anderthalb Dutzend Songs, bei denen - das muss man der Band lassen - erstaunlicherweise kein Totalausfall zu finden ist. Über 70 Minuten halten sie die Spannung hoch und präsentieren sich variantenreicher als auf American Idiot. Last Of The American Girls ist das bessere Whatsername und 21 Guns sticht Give Me Novocaine locker aus, um ein paar Songs zu vergleichen, die sich durchaus ähnlich sind. Denn Green Day bleiben Green Day. Neu und innovativ ist auch auf 21st Century Breakdown nichts. Die Einflüsse reichen vom frühen Bruce Springsteen über The Clash und Social Distortion bis zu Queen und schließlich zum späteren Springsteen.

Und im Bandkontext fühlt man sich an Warning (Viva La Gloria (Little Girl)), die Foxboro Hot Tubs (Horseshoes And Handgrenades) und natürlich American Idiot (Know Your Enemy) erinnert. Das Tempo bleibt über die ganze Platte hinweg höher als noch auf American Idiot. Es gibt nur eine lupenreine Ballade: Last Night On Earth fühlt sich mit den flirrenden Slidegitarren aber auch erfrischend anders an und nicht so stereotyp wie Boulevard Of Broken Dreams oder Wake Me Up When September Ends. Überall regiert die Abwechslung: Bei Restless Heart Syndrome übernehmen ab der Hälfte die quietschenden Gitarrenwände, 21 Guns versucht es erfolgreich mit Falsettgesang, Peacemaker dreht die Polka durch den Fleischwolf etc. pp. Es gibt also viel zu entdecken! 8/10

Anspieltipps: 21st Century Breakdown, East Jesus Nowhere, Horseshoes And Handgrenades

Sonntag, Mai 03, 2009

Trouble - Unplugged


Halbakustischer War-mal-Metal. Was für eine Mogelpackung! Unplugged steht in großen Lettern vorne auf dem Digipak. Und gerade bei Trouble scheint das ja auch eine logische Konsequenz zu sein. Wenn es eine Doom-Metal-Band gibt, deren Songs auch akustisch fantastisch funktionieren würden, dann doch die Mannen rund um Eric Wagner. Schon die letzte Studioplatte Simple Mind Condition war schließlich kein kompromissloser Metal.

Trouble übertreffen die Erwartungen sogar: Rain schwelgt geradezu im Schönklang zwischen Klavier und Akustikgitarre. Easy Listening ist angesagt. Auch Flowers und Requiem funktionieren. Ein Stück langsamer, mit getragenen Gitarren unterlegt und mit einem stimmlich vorsichtigem aber trotzdem souveränen Eric Wagner. Man wird daran erinnert, dass hinter den meisten Rocksongs eine simple Komposition steht: Melodie und Begleitung, eine Stimme und eine akustische Gitarre.

Und dann schleicht sich bei Smile die erste E-Gitarre ein. Clean, aber verstärkt. Fast ein Surfsound. Trouble bemühen sich, weiterhin traurig zu klingen, aber mit Beach-Boys-Gitarren klappt das nicht. Ab hier kippt die Platte, unplugged ist anders.

Unabhängig davon überzeugt auch die zweite Hälfte durch Abwechslung – nicht unbedingt eine Tugend des Doom Metal. Misery wird gegen Ende fast jazzig. Und danach versuchen sie überhaupt nicht mehr, sich als unplugged zu verkaufen. Was kommt, ist ein angezerrter Fast-Metal. Weder Fisch noch Fleisch, aber als Experiment durchaus spannend. Die Songs halten sich etwas zurück, ansonsten wären wir auf dem nächsten regulären Trouble-Album angelangt. (Das – ganz nebenbei – ja in der Mache ist, aber ohne Eric Wagner auskommen muss. Ersatzsänger Kory Clarke hat allerdings beileibe keine annähernd so markante Stimme.)

Alles in allem hört man, dass Unplugged zusammengewürfelt ist. Die Aufnahmen stammen aus ganz verschiedenen Epochen der Bandgeschichte. Der Übergang zwischen den fast-akustischen und den fast-elektrischen Songs ist ein wenig holprig. Aber die Songs wissen zu überzeugen, auch dank Eric Wagner. Trouble werden an dem Wegfall zu knabbern haben. 7/10

Anspieltipps: Flowers, Misery, Fly