Dienstag, Juni 23, 2009

Dinosaur Jr. - Farm


Solo für Gitarre. Nach ziemlich genau einer Stunde ist das einzige, an das man sich erinnern kann, ein Gitarrensolo. Massiv stünde es im Raum, wenn so ein Solo denn stehen könnte. 60 Meter wäre es hoch, wenn es denn eine Größe hätte. Hat es aber nicht, nur eine Länge – die scheint bei etwa 60 Minuten zu liegen – und einen Namen: Farm.

J Mascis’ Gitarrenspiel ist – wie eh und je – so dominant, dass beim ersten Hördurchgang kaum ein anderer Aspekt auf Farm die Möglichkeit hat, aufzufallen. Aber Geduld hat sich bei dem Schrammel-Dreier aus Massachussetts schon immer gelohnt. Überhaupt ist es erstaunlich, wie wenig sich bei Dinosaur Jr. geändert hat, 20 Jahre nach ihrer De-facto-Trennung und vier Jahre nach einer erfreulich unspektakulären Reunion.

Beyond, das Comeback-Album, war der Beweis, dass sie es immer noch können, dass sie immer noch verdammt gut sind und dass gute Rockmusik zeitlos ist. Und so wehren sich die drei Dinosaurier auch auf Farm erfolgreich gegen jegliche Form der Evolution und moderne Spielereien.

Farm hat alles, was so ein Dinosaur-Jr.-Album braucht: tieftraurige und naiv-optimistische Melodien, Mascis flehenden Gesang, ellenlange Gitarrensoli, Murph und Lou Barlow. „Unspektakulär“ – das ist kein schönes Wort, beschreibt die Platte aber ganz wunderbar. So unaufgeregt, lässig und melodiesicher kann wohl nur eine Band mit viel Erfahrung sein.

Hat man sich erstmal wieder reingehört in die 80er, gibt es viel zu entdecken. Die sommerliche Single Over It beispielsweise, das abgehangene und sehr dynamische Plans oder der Rock’n’Roller Friends, der selbst dem notorisch bewegungsfaulen J Mascis beim Spielen doch ein leichtes Kopfnicken abringen dürfte. Bassist Barlow steuerte auch wieder zwei Songs bei, die dem typischen Dinosaur-Jr.-Sound ein wenig Abwechslung beibringen.

Drei Stücke überschreiten die sechs Minuten locker, einer davon ist gar nahezu neun Minuten lang: I Don’t Wanna Go There wartet mit Vier-Minuten-Solo, abwechslungsreichen Riffs und krachigem Lautstärkepegel auf. Der Song wäre bei Guitar Hero wahrscheinlich eine einzige Farbenflut und zeigt die Band in Höchstform. 8/10

Anspieltipps: Pieces, Over It, I Don’t Wanna Go There

Montag, Juni 22, 2009

Future Of The Left - Travels With Myself And Another


Rockmusik! „Mit einem Erdbeben anfangen und sich dann langsam steigern.“ So stellte sich Stern-Gründer Henri Nannen eine gute Reportage vor. Und Filmproduzent Samuel Goldwyn gab diesen Ratschlag den Drehbuchautoren, die für ihn arbeiteten. Future Of The Left haben sich den Satz wohl in Riesenlettern an die Wände ihres Proberaumes in Cardiff getackert. Denn Arming Eritrea ist nichts anderes als das besagte Erdbeben und der Einstieg zu einer der ganz großen Platten dieses Jahres.

Andrew Falkous und seine beiden Mitstreiter treiben sich ja sowieso schon in etwas abseitigeren Gefilden herum. Vor den Ärzten aus Berlin (aus Berlin!) als Co-Headliner auf dem Hurricane Festival spielen werden sie nie in ihrem Leben, ihre Plattenfirma wird ihnen niemals Zeit und Geld geben, um bis zur nächsten Platte vierzehn Jahre ins Land streichen zu lassen. Und hippe Indie-Girlies werden niemals mit T-Shirts herumlaufen, die mit „Mark Foley was right!“ oder „it only happened coz i couldn’t drink more“ bedruckt sind.

So bleibt die kleine Nische, in der sich die Band glücklich im eigenen Sound suhlt: Noise, aber nicht wie Neurosis; mit Synthies, aber nicht New Wave; Indie, aber nicht Mando Diao; direkt, aber nicht Punkrock. Travels With Myself And Another bricht aus dem sowieso schon nicht allzu engen Korsett des Noiserock mehrfach aus und verteilt seine Dissonanzen und atonalen Melodien in jedem Genre, das nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Nachdem Arming Eritrea sich bei gefühlten 9,3 Punkten auf der Richterskala und nach einem überbordenden Finale selbst zerlegt hat, geht es zunächst eher konventionell weiter. Chin Music könnte auch Wrigley Scott, Part II heißen, so sehr erinnert der Song ans erste Album Curses! und so gradlinig rennt er über die Ziellinie. Die Single The Hope That House Built schlägt dann aber die ersten Haken und bringt die Hörgewohnheiten ein wenig ins Straucheln. Stakkato-Drums, drückender Bass und Falkous’ atonales Gitarrenspiel setzen sich sofort im Gehörgang fest, trotz gemäßigter Geschwindigkeit. Der Song lebt von seiner Dynamik und dem mehrstimmigen Gesang, nicht vom puren Krach. Der Sound ist trotzdem charakteristisch wie schon auf Curses! Future Of The Left sind eine der Bands, die man schon nach den ersten Noten erkennt.

Und trotzdem bleibt Travels… immer variantenreich genug, um nicht langweilig zu werden. Auf das manische, fast schon wahnhaft stampfende You Need Satan More Than He Needs You folgt mit That Damned Fly ein Stück, aus dem andere Bands den ganz großen Stadionrocker gemacht hätten. Der Rausschmeißer Lapsed Catholics beginnt akustisch und mit gesprochenem Vortrag, bevor er sich in einen Tsunami aus Oktavgriffen verwandelt. Yin / Post-Yin spricht gar das Tanzbein an und Drink Nike ist kurz vor Schluss noch mal so ein richtig fieser Ohren-zum-Bluten-Bringer.

Highlights sind unter den duchweg sehr guten Songs also schwer festzumachen. Neben dem eingangs erwähnten Arming Eritrea sind das vielleicht der instrumental aufs Minimum reduzierte Synthie-Rocker Throwing Bricks At Trains und das sowohl textlich als auch musikalisch vollkommen durchgeknallte Stand By Your Manatee: „only the good die young / except for when they don’t / it’s not exactly fair“.

Travels With Myself And Another knallt von vorne bis hinten, ist eines der eigenständigsten und das vielleicht beste Rockalbum der ersten Jahreshälfte. 9/10

Anspieltipps: Arming Eritrea, Throwing Bricks At Trains, Stand By Your Manatee

Freitag, Juni 19, 2009

Celan - Halo


Krach oder Kunst. Welche Gründe gibt es, eine neue Band zu gründen? Einige plausible, die mir spontan in den Sinn kommen: Der Schlagzeuger in der alten Band ist ein Arsch (mclusky); der Gitarrist fühlt sich nicht ausgelastet (Omar Rodriguez-Lopez); der Sänger möchte mal was Neues ausprobieren (Chris Cornell). Welchen Sinn aber hat es, wenn die neue Band genauso klingt wie die alte, die nicht mal aufgelöst worden ist?

So ungefähr ist es nämlich bei Celan. Halo könnte über weite Strecken auch ein neues und durchaus gutes Unsane-Album sein. Sänger Chris Spencer schnetzelt sich mit bekannter Zähigkeit durch die blutigen Brocken, die irgendwann mal Songs waren, bevor sie gleichzeitig einen Autounfall, einen Flugzeugabsturz und einen Zusammenprall mit einem Güterzug hatten. Das ist 24-karätiger Noiserock, der in Sachen Härte gegen jede Grindcore- oder Death-Metal-Band locker anstinken kann.

Als Hörer wundert man sich daher zu Beginn nur kurz, wenn man im Hintergrund von All This And Everything ein Keyboard zu hören glaubt. Viel zu schön schiebt sich jedes einzelne Instrument und selbstredend auch Spencers Stimme durch den Verzerrer. Bis zur Hälfte der Platte lassen die Songs sich schlichtweg kaum von Unsane unterscheiden. Und dann folgt Washing Machine. Kein Song, sondern über vier Minuten sinnfreies Ambient-Gedudel. Spätestens jetzt ist man sich sicher: Irgendwer wurschtelt doch diese ganze unnötige Soundkulisse in den Hintergrund der Songs: Keyboards, Samples, Gequietsche. Und da ist tatsächlich jemand: Ari Benjamin Meyers von den Einstürzenden Neubauten. Na toll!

Der Schaden hält sich aber in Grenzen. Auf den ersten sechs Songs hört man ihn kaum und das, was auf Washing Machine folgt, ist immer noch zu 90 Prozent Unsane und zu 10 Prozent eigentlich ganz innovativ. Nach einigen Durchgängen freut man sich glatt, die verkrusteten Strukturen mal etwas aufgebrochen zu sehen.

Halo ist auf jeden Fall eine Platte, die eine Entwicklung durchmacht. In 50 Minuten Spielzeit bewegt sich die Musik vom brachialen Noiserock zum krachigen Artrock. Das ist keine weite Strecke, aber mehr als die meisten Bands auf einem Album hinbekommen. Kulminieren muss das Kunst-Werk konsequenterweise in dem überlangen Schlusstrack Lunchbox, der leider mit einem abermals sinn- und spannungsfreien sechsminütigen Intro beginnt und dann auch nur wenig besser wird. Etwa eine Viertelstunde dieser Platte ist somit überflüssig, die anderen 35 Minuten von Halo aber mehr als okay. 7/10

Anspieltipps: All This And Everything, Weigh Tag, It’s Low

Donnerstag, Juni 18, 2009

Anti-Flag - The People Or The Gun


punkrock. Großes war ja sowieso nicht mehr zu erwarten von Anti-Flag. Eine Band, die zwar immer mal den einen oder anderen Gassenhauer dabei hatte, der es aber auch zu jeder Zeit an einem Alleinstellungsmerkmal mangelte.

Politisch waren andere vor ihnen und werden noch viele nach ihnen sein. Und musikalisch gibt es seit Jahren halt den einen Anti-Flag-Song, immer wieder ähnlich, nur selten einprägsam. Das ist Nullachtfünfzehn-Punkrock, wie ihn sogar Pennywise noch abwechslungsreicher hinbekommen. Eins muss man den Mannen um Justin Sane aber zugute halten: Geändert hat sich an ihrer Musik auch in den vergangenen Jahren beim Major-Label nichts. So fällt es auch kaum auf, dass sie jetzt wieder kleinere Brötchen backen.

Und manchmal funktioniert der Anti-Flag-Song ja auch. Man erinnere sich an den Titeltrack von Underground Network oder die grandiose B-Seite Seattle Was A Riot. Auf The People Or The Gun traut er sich aber einfach nichts zu, der Anti-Flag-Song. Bei This Is The First Night kommt die Mitsingstimmung nur auf, weil irgendwann eine Geräuschkulisse wie im Pub eingespielt wird. Der Ein-Minüter You Are Fired (Take This Job, Ah, Fuck It) klingt nicht nur dem Titel nach sehr gezwungen nach Propagandhi. Und auch ansonsten hetzen sie sich uninspiriert auf den immer gleichen Pfaden, Akkorden, Rhythmen und tiefroten lyrischen Ergüssen durch die Songs, die sich ständig zu wiederholen scheinen. Das ist nicht einmal so richtig schlecht, aber im schlimmsten Sinn egal.

Wer dem Punkrock Engstirnigkeit und Variationsarmut vorwirft, hat eigentlich selbst Schuld. Aber hier fällt es unangenehm auf. Die Bausteine sind fast greifbar, man kann sich seine eigenen Anti-Flag-Songs neu zusammensetzen. Den Knüppelbeat und die abgedämpfte Strophe aus The Old Guard, dazu der treibende Refrain mit den Pentatoniken aus Sodom, Gomorrah, Washington D.C. (Sheep In Shepherds Clothing) oder die offenen Akkorde am Anfang von The Gre(a)t Depression und dazu die in We Are The One geradezu überdominanten Whoas. Nein, es fehlt einfach das gewisse etwas: die Ironie von NOFX, das stupende Lehrerwissen von Bad Religions Greg Graffin, das Händchen für die großen Melodien, wie Green Day es haben, die technische Brillanz von Propagandhi, die schludrige Straßenattitüde von Rancid. Die Liste ließe sich fortsetzen. 4/10

Anpieltipps: Gomorrah, Washington D.C. (Sheep In Shepherds Clothing), The Economy Is Suffering... Let It Die, The Old Guard

Mittwoch, Juni 10, 2009

Gehörte Geschichte: Rancid

The Crowd, the Pit and the Rancid

Eigentlich begann es schon ein paar Jahre vor dem ersten Rancid-Album. Ein paar Jungs namens Operation Ivy hatte etwa 1987 mit ihrem rauen, Ska-infizierten Punkrock beachtlichen Erfolg. Zuviel für die jungen Musiker, denn nach ungefähr zwei Jahren, einem Album und einer Handvoll weiterer Songs war 1989 schon wieder Schluss. Geblieben sind Klassiker wie The Crowd oder Knowledge und glücklicherweise auch Gitarrist Tim Armstrong und Bassist Matt Freeman, die zusammen mit Schlagzeuger Brett Reed nach kurzer Auszeit Rancid gründeten. 1993 tauchte das erste, schlicht Rancid betitelte Album auf.

Rancid (1993)

Das war ein knappes Jahr vor dem großen Punk-Revival, das Epitaph Records reich, The Offspring weltberühmt machen und Green Day in die BRAVO bringen sollte. Bemerkenswert ist, dass Matt Freeman hier in fast jedem Song die Sau rauslässt. In Sachen Bassspiel können sich viele Songs heute noch sehen lassen: Rats In The Hallway, Rejected, The Bottle. Die Liste ließe sich fortsetzen. Was Freeman hier angesichts der konstant hohen Geschwindigkeit an Soli und Groove abspult, hält schlicht die ganze Platte zusammen. Die meisten typischen Rancid-Merkmale finden sich hier schon wieder: Tim Armstrongs Genöle, Mitgröhlrefrains (Another Night), rasende Gitarren, die Liebe zu lauten und schnellen oder schnellen und lauten Songs. Nur Lars Frederiksen fehlt noch.

Let’s Go (1994)

Denn der stieß erst nach den Aufnahmen zum ersten Album zur Band. Dafür durfte er auf Let’s Go gleich im ersten Song ans Mikro. Insgesamt übertreibt die Band es hier ein wenig. 23 Songs sind viel Stoff, da ist auch ein wenig Füllmaterial dabei. Einige Hits stechen trotzdem aus der Masse hervor: Radio und Tenderloin sind gute Beispiele dafür, dass Rancid ein Stück Chaos und Krach hinter sich gelassen haben. Nicht unbedingt weniger Punk, aber mehr Rock.

Und den Einfall, ein so wunderbar naives Gitarrensolo wie in Radio neben den abermals alle Register ziehenden Matt Freeman zu stellen, muss man erstmal haben. Abermals überschreitet keiner der Songs die 3-Minuten-Marke. Kurze Songs bleiben auch auf den folgenden Alben eine Stärke der Band und verhindern vielleicht, dass ihre Platten angesichts der Menge an Songs überfüllt wirken. Gerade wenn ein paar 1:30-Brecher hintereinander kommen, nimmt Let’s Go so richtig Fahrt auf.

Den ganz großen Durchbruch hatten in diesem Jahr andere Bands. Dafür ist Let’s Go vielleicht auch zu kompromisslos. Ins Radio passt nicht mal die gleichnamige Single. Tempo rausnehmen ist hier (noch) nicht drin.

…And Out Come The Wolves (1995)

Noch ein Jahr später hatte sich die Welt bereits damit abgefunden, dass der Punkrock ein zweites Mal da war. Radios und Hörer öffneten sich auch für das etwas härtere Zeug und Rancid öffneten sich für das Radio. Zum ersten Mal ist es angebracht, das Wort Pop für einen Rancid-Song zu verwenden. Wo sonst gehört Time Bomb hin, wenn nicht auf die Tanzfläche? Und auch Ruby Soho, Lock, Step & Gone und Avenues & Alleyways lassen die Sonne in die ranzige Bude scheinen.

Wie zum Beweis, dass die Band aber keinesfalls allzu frühzeitig altersmilde geworden ist, bläst …Wolves dem Hörer erstmal Maxwell Murder ins Gesicht, der Bastard eines Punkrockers, inklusive dem Basssolo bis dahin. Apropos Bass: Wie viel Rock’n’Roll in Rancid steckt, zeigt fast schon idealtypisch Olympia WA.: Walking Bass, Leadmelodie auf der Gitarre und klassisches Rockriff. Bei Listed M.I.A. gibt’s sogar Handclaps. Mehr Kopfnicken geht kaum. Noch ein Schritt weiter, und die Punkpolizei hätte den Ausverkauf proklamiert. Etwas anderes musste her.

Life Won’t Wait (1998)

Also begannen die Wanderjahre: Erst drei Alben in drei Jahren und dann drei Jahre bis zum nächsten. Die ehemaligen Labelkollegen The Offspring waren mit Pretty Fly mittlerweile voll im Mainstream angekommen, Green Day in irgendeiner Versenkung verschwunden und selbst die Punk-Credibility-Band schlechthin, Bad Religion, versauerte auf einem Major-Label. Und Rancid? Tim Armstrong und Co. nahmen eine Art Teilzeit-Ska-Album auf. Mit dabei waren ein paar Raggae-Künstler, Steel Drums und ab und an ein Bläsersatz. Auf der Strecke blieben leider die Songs.

Auf das durchaus veritable Bloodclot folgt Hoover Street, ein Stück Musik, das nie richtig ein Song wird. Vieles klingt gezwungen, als ob die Band unbedingt in jeden Song ein bisschen Ska einbauen wollte. Beim Titeltrack nerven die Gastsänger in einem der einfallslosesten Refrains und langatmigen Bridges. Funktionieren tut nur weniges. 1998 zum Beispiel, mit seinen sinistren Gitarrenlinien und dem etwas steifen Bass, der aber jeden Fuß zum Wippen bringt. Oder Corazon De Oro, das ohne die Hammond-Orgel auch ziemlich gut auf …Wolves hätte passen können. Ganz furchtbar ist dann noch mal der Rausschmeißer.

Rancid (2000)

Call and response: Auf den Weichspülgang von Life Won’t Wait folgt das Album, dass nicht nur den Namen mir Rancids erster Platte gemeinsam hat. Rancid (2000) macht noch mehr Krach als das Debüt, einfach weil Rancid musikalisch besser geworden sind. Ein solches Fegefeuer konnten sie 1993 wahrscheinlich noch überhaupt nicht entfachen. Bevor man sich nach dem Einlegen der Platte gemütlich aufs Sofa setzen kann, sind die ersten drei Songs vorbei und man selbst taub, wenn man den Lautstärkeknopf noch – ganz punkrockig – weit nach rechts unten gedreht hat. Let Me Go gaukelt dann ein wenig Ruhe vor. Die Band hätte sich ansonsten wahrscheinlich selbst überholt.

Aber dann drücken sie das Gaspedal richtig durch: Die nächsten acht Songs fahren alle unter zwei Minuten über die Ziellinie. Dabei sind Klassiker wie Poison, Corruption und Antennas. Die letzte Verschnaufpause ist Radio Havana. Als ob sie sagen wollten: „Guckt mal, klar können wir super Rocksongs schreiben. Aber scheiß drauf, keinen Bock heute.“ Also beginnt das irrsinnige Axiom den Endspurt, dessen Basssolo sogar Maxwell Murder in den Schatten stellt. Der Rest tut schon fast weh, ist aber wahnsinnig gut. Matt Freeman gröhlt Black Derby Jacket, Rigged On A Fix und Reconciliation, Lars Frederiksen schreit Dead Bodies und Young Al Capone und Tim Armstrong nölt sich geschafft, aber glücklich durch das finale GGF. 22 Songs, 38 Minuten, pure Energie und kein Ausfall.

Indestructible (2004)

Vier Jahre musste man warten, bis der sechste Streich folgte. Zum dritten Mal hintereinander ein musikalischer Hakenschlag? Nein, auf Indestructible kommt endlich zusammen, was schon seit Time Bomb und Ruby Soho zusammengehört. Es verbindet sich Popcharme mit Punkrock, für den sich kein Iroträger schämen muss. Allerdings: Tim Armstrong war in der Zwischenzeit nicht untätig, verband mit den Transplants Punkrock und Hip Hop, schrieb und produzierte ein Album von und mit Pink! und trennte sich von seiner Frau.

Man kann all das auf Indestructible wieder finden: ein Gastauftritt des Transplants-Sänger, Herzschmerz in Fall Back Down, Start Now oder Tropical London und die poppige Melodie von Arrested In Shanghai.

Dass trotzdem ein homogenes Ganzes entstanden ist und keine zersplitterte Sammlung verschiedener Genres und Ideen, liegt wohl auch an der positiven, hoffnungsvollen Aufbruchsstimmung, die ständig in freundlichen Farben durchscheint.

Das vorerst letzte Kapitel und ein weiterer Schritt in Sachen neue Lässigkeit ist das neue Album Let The Dominoes Fall.

Black Math Horseman - Wyllt


Doomiger Space-Folk. Eine verhallte Frauenstimme schwebt aus den Boxen spacige Gitarren zischen vorbei, im Hintergrund poltern Drums und Bass einen langsamen Beat. Wenn das einfach so bleiben würde, wären Black Math Horseman eine ziemlich langweilige Angelegenheit. Aber Black Math Horseman nehmen sich nur etwas Zeit für ihre Songs. Heraus kommen sechs durchkomponierte Kleinode irgendwo zwischen Isis, Crippled Black Phoenix und Wüstensound.

Letzteres ist kaum ein Wunder, zeigt sich doch Scott Reeder für die Produktion von Wyllt verantwortlich. Der ehemalige Bassist von Kyuss, Unida und The Obsessed drückt der Band aber nicht zwanghaft den Stoner-Stempel auf. Ganz wie bei Isis wechseln sich laut und leise in den Songs ab, Gitarrenwände erheben sich langsam und Schicht für Schicht, fallen wieder zusammen und hinterlassen viel Raum für ein sehr differenziertes Klangbild. Black Math Horseman werden dabei nie so laut und hart wie Isis oder Neurosis. Immer scheint eine folkige Grundstimmung durch die Songs. Und sie schweifen auch nicht so weit ab wie genannte Bands. Bis auf den Abschlusstrack bleiben alle Songs deutlich unter zehn Minuten. So kommt in der relativ knackigen Spielzeit von knapp 38 Minuten keine Langeweile auf.

Die Band beherrscht das Spiel mit den Gegensätzen ziemlich gut. Die Space-Gitarren wechseln sich ab mit erdigen Overdrive-Riffs, Schlagzeug und Bass gehen nahtlos von straighten Beats zu komplizieteren Rhythmen über und der flächigen Weite einiger Strophen folgen die bereits erwähnten Gitarrenwände. Einigendes Element ist die über allem schwebende Stimme von Sera Timms, die nur im letzten Song Bird Of All Faiths And None / Bell From Madrone für einige Takte mal lauter wird. 7/10

Anspieltipps: Tyrant, Deerslayer, Bird Of All Faiths And None / Bell From Madrone

Dienstag, Juni 09, 2009

Chickenfoot - Chickenfoot


Chickenshit. Man kann nicht einfach paar leckere Dinge in einen Topf werfen, aufkochen und glauben, es käme was Schmackhaftes dabei heraus. Beispiel? Rumpsteak, Schokoladeneis und Gin Tonic. Man kann auch nicht ein paar Zutaten, von denen man nur glaubt, sie wären toll, in eine Pfanne werfen, anbraten und hoffen, es käme etwas Gescheites dabei heraus. Beispiel? Nicolas Cage, Aliens und Alex Proyas. Wie mag es dann erst aussehen bei drei Typen, von denen jeder weiß, dass sie überschätzt werden?

Diese Frage bringt uns zu Joe Satriani, Sammy Hagar und Chad Smith. Oder kurz: Chickenfoot. Kein Scherz, die heißen wirklich so. Clawfinger und The Byrds sind schließlich schon belegt. Ein vermeintlicher Gitarrengott, der ehemalige Sänger einer ehemals – und zu ihrer Zeit völlig zu Recht – erfolgreichen 80er-Hardrock-Gruppe und der überschätzte Schlagzeuger einer überschätzten Funkrock-Band haben sich also zu einer so genannten Supergroup zusammengefunden. Und als Sahnehäubchen gibt’s auch noch den ehemaligen Van-Halen-Bassisten Michael Anthony obendrauf.

Kommen wir zum Inhalt. Schon die Songtitel lassen wahlweise auf Belanglosigkeiten oder Peinlichkeiten schließen: Oh Yeah, Sexy Little Thing, My Kinda Girl oder die Trilogie aus Runnin’ Out, Get It Up und Down The Drain sprechen für sich. Nun ja, der Rock’n’Roll war schon immer einfach gestrickt.

Und dann hat man den Play-Knopf gedrückt und Satriani legt gleich mal los: Furchtbare Tapping-Fingerpicking-das-Griffbrett-rauf-und-runter-Soli reihen sind an Riffs, die Axl Rose wahrscheinlich beim Aufnehmen von Chinese Democracy verworfen hat. Dazu schreit und singt Sammy Hagar und versucht mit sich überschlagender Stimme, doch bitte ein wenig nach Robert Plant zu klingen. Leider vergeblich. So wälzt sich Avenida Revolution quälend langsam aus den Boxen. Und das war erst der Anfang einer knappen Stunde Musik, die ständig zwischen Langeweile, Fremdschämen und Brechreiz oszilliert.

Dass es immer noch weiter abwärts geht, beweist Sexy Little Thing mit eingeworfenen Kastraten-Uhs, einem Text zwischen „sticky fingers“, „wild honey“ und „tail leather“ und schlecht bei Jimmy Page geklauten Gitarren. Letzteres ist ein Motiv, das sich einfach nur noch unverschämt durch das ganze Album zieht, auch wenn Satriani mit dem Einsatz von einigen Effektgeräten einen leidlich erfolgreichen Vertuschungsversuch unternimmt.

Satriani gniedelt sich also durch die stets belangloser werdenden Songs, erfreut sich zwischendurch immer häufiger an seinen eigenen Soli, während Chad Smith im Hintergrund den immer selben Beat in den Variationen Langsam, Mittellangsam und Mittelschnell spielt und Sammy Hagar Dinge von sich gibt wie „I’m running out of sex“, „we can change the world“, „some things are better left in the closet“ oder „if I were water I'd make you real /I'd want to touch you all night long on my spinning wheel”. Der einzige Song, bei dem sich all das zu einem gefälligen Ganzen zusammenfügt, ist Down The Drain, bei dem sich die Gitarren fast schon doom-artig durch den Verstärker zwängen und die Band es schafft, trotz der langsamen Geschwindigkeit nicht in eine schmalzige Balladenroutine zu verfallen. Der Rest ist düster, ganz düster. Insbesondere Turnin' Left mit seiner ausufernden Solo-Orgie und das abschließende Future In The Past, für das Led Zeppelin diese Band ernsthaft verklagen sollten: „saving the best for last“, na klar. Hühnerkacke! 2/10

Anspieltipp: Down The Drain