Mittwoch, Juni 10, 2009

Gehörte Geschichte: Rancid

The Crowd, the Pit and the Rancid

Eigentlich begann es schon ein paar Jahre vor dem ersten Rancid-Album. Ein paar Jungs namens Operation Ivy hatte etwa 1987 mit ihrem rauen, Ska-infizierten Punkrock beachtlichen Erfolg. Zuviel für die jungen Musiker, denn nach ungefähr zwei Jahren, einem Album und einer Handvoll weiterer Songs war 1989 schon wieder Schluss. Geblieben sind Klassiker wie The Crowd oder Knowledge und glücklicherweise auch Gitarrist Tim Armstrong und Bassist Matt Freeman, die zusammen mit Schlagzeuger Brett Reed nach kurzer Auszeit Rancid gründeten. 1993 tauchte das erste, schlicht Rancid betitelte Album auf.

Rancid (1993)

Das war ein knappes Jahr vor dem großen Punk-Revival, das Epitaph Records reich, The Offspring weltberühmt machen und Green Day in die BRAVO bringen sollte. Bemerkenswert ist, dass Matt Freeman hier in fast jedem Song die Sau rauslässt. In Sachen Bassspiel können sich viele Songs heute noch sehen lassen: Rats In The Hallway, Rejected, The Bottle. Die Liste ließe sich fortsetzen. Was Freeman hier angesichts der konstant hohen Geschwindigkeit an Soli und Groove abspult, hält schlicht die ganze Platte zusammen. Die meisten typischen Rancid-Merkmale finden sich hier schon wieder: Tim Armstrongs Genöle, Mitgröhlrefrains (Another Night), rasende Gitarren, die Liebe zu lauten und schnellen oder schnellen und lauten Songs. Nur Lars Frederiksen fehlt noch.

Let’s Go (1994)

Denn der stieß erst nach den Aufnahmen zum ersten Album zur Band. Dafür durfte er auf Let’s Go gleich im ersten Song ans Mikro. Insgesamt übertreibt die Band es hier ein wenig. 23 Songs sind viel Stoff, da ist auch ein wenig Füllmaterial dabei. Einige Hits stechen trotzdem aus der Masse hervor: Radio und Tenderloin sind gute Beispiele dafür, dass Rancid ein Stück Chaos und Krach hinter sich gelassen haben. Nicht unbedingt weniger Punk, aber mehr Rock.

Und den Einfall, ein so wunderbar naives Gitarrensolo wie in Radio neben den abermals alle Register ziehenden Matt Freeman zu stellen, muss man erstmal haben. Abermals überschreitet keiner der Songs die 3-Minuten-Marke. Kurze Songs bleiben auch auf den folgenden Alben eine Stärke der Band und verhindern vielleicht, dass ihre Platten angesichts der Menge an Songs überfüllt wirken. Gerade wenn ein paar 1:30-Brecher hintereinander kommen, nimmt Let’s Go so richtig Fahrt auf.

Den ganz großen Durchbruch hatten in diesem Jahr andere Bands. Dafür ist Let’s Go vielleicht auch zu kompromisslos. Ins Radio passt nicht mal die gleichnamige Single. Tempo rausnehmen ist hier (noch) nicht drin.

…And Out Come The Wolves (1995)

Noch ein Jahr später hatte sich die Welt bereits damit abgefunden, dass der Punkrock ein zweites Mal da war. Radios und Hörer öffneten sich auch für das etwas härtere Zeug und Rancid öffneten sich für das Radio. Zum ersten Mal ist es angebracht, das Wort Pop für einen Rancid-Song zu verwenden. Wo sonst gehört Time Bomb hin, wenn nicht auf die Tanzfläche? Und auch Ruby Soho, Lock, Step & Gone und Avenues & Alleyways lassen die Sonne in die ranzige Bude scheinen.

Wie zum Beweis, dass die Band aber keinesfalls allzu frühzeitig altersmilde geworden ist, bläst …Wolves dem Hörer erstmal Maxwell Murder ins Gesicht, der Bastard eines Punkrockers, inklusive dem Basssolo bis dahin. Apropos Bass: Wie viel Rock’n’Roll in Rancid steckt, zeigt fast schon idealtypisch Olympia WA.: Walking Bass, Leadmelodie auf der Gitarre und klassisches Rockriff. Bei Listed M.I.A. gibt’s sogar Handclaps. Mehr Kopfnicken geht kaum. Noch ein Schritt weiter, und die Punkpolizei hätte den Ausverkauf proklamiert. Etwas anderes musste her.

Life Won’t Wait (1998)

Also begannen die Wanderjahre: Erst drei Alben in drei Jahren und dann drei Jahre bis zum nächsten. Die ehemaligen Labelkollegen The Offspring waren mit Pretty Fly mittlerweile voll im Mainstream angekommen, Green Day in irgendeiner Versenkung verschwunden und selbst die Punk-Credibility-Band schlechthin, Bad Religion, versauerte auf einem Major-Label. Und Rancid? Tim Armstrong und Co. nahmen eine Art Teilzeit-Ska-Album auf. Mit dabei waren ein paar Raggae-Künstler, Steel Drums und ab und an ein Bläsersatz. Auf der Strecke blieben leider die Songs.

Auf das durchaus veritable Bloodclot folgt Hoover Street, ein Stück Musik, das nie richtig ein Song wird. Vieles klingt gezwungen, als ob die Band unbedingt in jeden Song ein bisschen Ska einbauen wollte. Beim Titeltrack nerven die Gastsänger in einem der einfallslosesten Refrains und langatmigen Bridges. Funktionieren tut nur weniges. 1998 zum Beispiel, mit seinen sinistren Gitarrenlinien und dem etwas steifen Bass, der aber jeden Fuß zum Wippen bringt. Oder Corazon De Oro, das ohne die Hammond-Orgel auch ziemlich gut auf …Wolves hätte passen können. Ganz furchtbar ist dann noch mal der Rausschmeißer.

Rancid (2000)

Call and response: Auf den Weichspülgang von Life Won’t Wait folgt das Album, dass nicht nur den Namen mir Rancids erster Platte gemeinsam hat. Rancid (2000) macht noch mehr Krach als das Debüt, einfach weil Rancid musikalisch besser geworden sind. Ein solches Fegefeuer konnten sie 1993 wahrscheinlich noch überhaupt nicht entfachen. Bevor man sich nach dem Einlegen der Platte gemütlich aufs Sofa setzen kann, sind die ersten drei Songs vorbei und man selbst taub, wenn man den Lautstärkeknopf noch – ganz punkrockig – weit nach rechts unten gedreht hat. Let Me Go gaukelt dann ein wenig Ruhe vor. Die Band hätte sich ansonsten wahrscheinlich selbst überholt.

Aber dann drücken sie das Gaspedal richtig durch: Die nächsten acht Songs fahren alle unter zwei Minuten über die Ziellinie. Dabei sind Klassiker wie Poison, Corruption und Antennas. Die letzte Verschnaufpause ist Radio Havana. Als ob sie sagen wollten: „Guckt mal, klar können wir super Rocksongs schreiben. Aber scheiß drauf, keinen Bock heute.“ Also beginnt das irrsinnige Axiom den Endspurt, dessen Basssolo sogar Maxwell Murder in den Schatten stellt. Der Rest tut schon fast weh, ist aber wahnsinnig gut. Matt Freeman gröhlt Black Derby Jacket, Rigged On A Fix und Reconciliation, Lars Frederiksen schreit Dead Bodies und Young Al Capone und Tim Armstrong nölt sich geschafft, aber glücklich durch das finale GGF. 22 Songs, 38 Minuten, pure Energie und kein Ausfall.

Indestructible (2004)

Vier Jahre musste man warten, bis der sechste Streich folgte. Zum dritten Mal hintereinander ein musikalischer Hakenschlag? Nein, auf Indestructible kommt endlich zusammen, was schon seit Time Bomb und Ruby Soho zusammengehört. Es verbindet sich Popcharme mit Punkrock, für den sich kein Iroträger schämen muss. Allerdings: Tim Armstrong war in der Zwischenzeit nicht untätig, verband mit den Transplants Punkrock und Hip Hop, schrieb und produzierte ein Album von und mit Pink! und trennte sich von seiner Frau.

Man kann all das auf Indestructible wieder finden: ein Gastauftritt des Transplants-Sänger, Herzschmerz in Fall Back Down, Start Now oder Tropical London und die poppige Melodie von Arrested In Shanghai.

Dass trotzdem ein homogenes Ganzes entstanden ist und keine zersplitterte Sammlung verschiedener Genres und Ideen, liegt wohl auch an der positiven, hoffnungsvollen Aufbruchsstimmung, die ständig in freundlichen Farben durchscheint.

Das vorerst letzte Kapitel und ein weiterer Schritt in Sachen neue Lässigkeit ist das neue Album Let The Dominoes Fall.

Keine Kommentare: