Sonntag, Mai 31, 2009

Rancid - Let The Dominoes Fall


Punkrock mit Ska, Herz und Straßengeruch. Tim Armstrong trägt keinen Iro mehr. Er hat mittlerweile ein Spinnennetz auf seinem Kopf. Tätowiert selbstverständlich. Dafür trägt jetzt Rancids neuer Schlagzeuger Brenden Steineckert einen Iro. In den Videos und auf den Fotos, die rund um das neue Rancid-Album Let The Dominoes Fall zu Promozwecken durch das Internet geistern, sieht das etwas gezwungen aus. Steineckert, der vorher bei The Used in Sachen Screamo unterwegs war, will jetzt offenbar unbedingt ein Punkrocker sein.

Optisch fällt nun eher Bassist Matt Freeman aus der Reihe, der immer noch so unauffällig aussieht wie John Doe. Akustisch fiel Freeman ja schon immer aus der Reihe. Der Mann ist ganz einfach der beste Rockbassist seiner Generation. Umso schöner, dass er nicht bei irgendeiner verkopften Avantgarde-Metal-Formation spielt, sondern bei Rancid, die ihrem Namen auf Let The Dominoes Fall mehr als gerecht werden.

Auf ihre eigene Weise hat die Band, die ja auch schon seit 20 Jahren dabei ist, ihren Stil mittlerweile perfektioniert. Sie brauchen kein Ska-Album (Life Won’t Wait) mehr zu machen, keine Hardcore-Platte (Rancid 2000) mehr, und ihre letzten Ängste vor Popmusik haben sie spätestens auf Indestructible zerstört. Let The Dominoes Fall klingt stimmig, ungezwungen und homogen, trotz seines Variantenreichtums. Aber es braucht seine Zeit.

Die ersten Hördurchgänge lassen den Hörer nämlich etwas indifferent zurück. Zunächst schmeckt die Platte weder nach Fisch noch nach Fleisch. Dann pfeift sie durch die Gehörgänge, ohne Spuren zu hinterlassen und schließlich riecht sie ein wenig abgestanden.

Nach einigen Durchgängen schälen sich dann aber die Melodien aus den Songs und was man eben noch irgendwie überhört haben muss, drängt sich in den Vordergrund. Tim Armstrong lamentiert sich schludriger als je zuvor durch die Songs, flüstert, schreit, nuschelt, versucht zu singen. Freemans anbetungswürdige Bassläufe und der unauffällig, aber gut aufspielende Steineckert halten, die Songs in der Spur.

Stilistisch schöpfen Tim Armstrong und Konsorten aus dem Vollen. Brecher wie This Place wechseln sich ab mit Tanznummern (Up To No Good), Mitgröhl-Songs (Last One To Die) und Nummern, die fast schon an Heartland-Rock (New Orleans) und Country (Civilian Ways) erinnern. Herrlich, wie Armstrong in Damnation dem schnellen Rock’n’Roll-Feeling hinterher stolpert, bevor er dann den Refrain übergenau intoniert. Auch Liberty And Freedom lebt vom Gegensatz zwischen der punktgenauen Musik und den hingerotzten Texten.

Ska-typisch bricht immer mal wieder eine Orgel den Dreiklang aus Schlagzeug-Bass-Gitarre auf und verhilft Let The Dominoes Fall zu einer fast schon relaxten Atmosphäre (Up To No Good, That’s Just The Way It Is Now). Wie immer übernehmen auch Lars Frederiksen und Matt Freeman ab und zu das Mikro. Mit Frederiksen klingt alles nach Maximum Punkrock, Freeman hingegen setzt die etwas abseitigeren Akzente. Und – erwähnte ich das schon? – der Typ kann Bass spielen! 8/10

Anspieltipps: Up To No Good, Damnation, New Orleans

Donnerstag, Mai 21, 2009

Ladyfinger (ne) - Dusk


Rhythm’n’Noise. Es ist schön, dass eine Band wie Ladyfinger (ne) eine Chance bei Saddle Creek bekommt, obwohl sie so überhaupt in das grundsätzlich eher ruhige Klangschema des kleinen Labels passt. Schon das Debut Heavy Hands war eher eine Platte für Krachliebhaber. Ladyfinger (ne) haben diesen Aspekt auf ihrer zweiten Platte eher noch ausgebaut und sowohl ihre Stärken als auch einige Schwächen mitgenommen.

Damit am Ende nicht das große Aber kommt, fangen wir mit den Schwächen an. Sänger Chris Machmuller strapaziert auch Hartgesottene irgendwann mit seiner Stimme. Irgendwie vermutet man immer einen langhaarigen Kuttenträger hinter dem Mikro, der 20 Jahre lang in einer Metalband gesungen hat und nicht mehr anders kann, egal, wie sehr er sich anstrengt. Gepresst und gezwungenen trägt er seine Texte vor. „Warum so steif? Mach dich ma’ locker!“, möchte man ihm entgegen schreien.

Das andere Problem betrifft das Schlagzeug. Nicht, dass Drummer Pat Oakes einen schlechten Job machen würde. Aber auf Dauer wirkt sein Getrommel arg penetrant, so weit ist es in den Vordergrund gemischt. Auf der anderen Seite hat die starke rhythmische Betonung schon auf Heavy Hands den Sound der Band ausgemacht. Und wenn Oakes und Bassist Ethan Jones am Ende von Read The Will gerade zu stoisch am Song festhalten, während der Rest der Band schon die Mittagspause gegangen ist, wird klar, dass genau diese Tatsache eine Stärke der Band ist.

So hackt sich in den meisten Songs die Rhythmusfraktion mit einer Energie durch Strophen und Refrains, dass es eine Freude ist. Dass Gitarren und Gesang da in Sachen Energie immer einen Schritt hinterher sind, macht den Charme der Band aus. Leider schaffen die vier es nicht immer, so zwingende Lärmwände zu errichten wie in A.D.D. oder Work Party. Plans verliert sich nach der halben Spielzeit in Gewaber und Belanglosigkeit. Vielen der Songs hätte eine straffere Produktion bestimmt gut getan. Ausnahme ist das siebenminütige Abschlussstück Born In The Eighties, in dem die Band es auf den Punkt genau schafft, ihre rhythmische Unerschütterlichkeit einen energischen Noiserocker zu verwandeln, ohne, eintönig und langweilig zu klingen. 6/10

Anspieltipps: A.D.D., Read The Will, Born In The Eighties

Mittwoch, Mai 20, 2009

Propagandhi - Supporting Caste


Punk-Prog-Rock-Metal-Polit-Hardcore. Propagandhi finden seit jeher Unterschlupf im harten Kern der Punkrock-Szene, ganz in der Nähe von Bands, die sich politisch engagieren (wie Propagandhi auch), seit Jahren ihren Stil durchkloppen (wie Propagandhi auch) und eben einfach Punkrock sind (wie Propagandhi – nein…) Eben nicht wie Propagandhi.

Die Kanadier setzen sich auf Supporting Caste – wie immer – zwischen diverse Genre-Stühle und hocken mit jedem ihrer vier Buchstaben mehr oder weniger auf einer Ecke. Klar ist das hier Punkrock. Man höre nur Potemkin City Limits! Klar ist das hier Hardcore. Man höre nur This Is Your Life! Klar ist das hier Metal. Man höre nur Supporting Caste!

Was alle Propagandhi-Alben zusammenhält, ist die pedantische Präzision, mit der die Band ihre Musik einspielt. Die Songs sind allesamt mindestens zwei Nummern komplexer als der Punkrock-Standard. Übergänge, Breaks und verschiedene Songteile passen aber immer wie Arsch auf Eimer. Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Bridge, Refrain gibt es auch auf Supporting Caste nicht. Aktives Hören lohnt sich. Immer wieder werfen Propagandhi dem Hörer eindringliche Melodiebruchstücke vor die Füße, wie in Tertium Non Datur. Nur um gleich darauf alles wieder niederzuwalzen.

Aber auch die Texte haben es wieder in sich. Chris Hannah weiß seine Worte als Waffe zu benutzen. Mit seinem Vokabular erscheint er manchmal wie der Streber-Bruder von Greg Graffin. Da George W. Busch nicht mehr im Amt ist, besinnt er sich diesmal auf persönlichere Themen und lässt die große Politik erstmal in Frieden. Without Love beispielsweise ist ein für Propagandhi-Verhältnisse geradezu anrührendes Liebeslied.

Leider fehlt einigen Songs auf Supporting Caste das gewisse Etwas, das Alleinstellungsmerkmal, der geniale Einfall, der den Song aus der Masse hervorhebt. So wabert Human(e) Meat (The Flensing Of Sandor Katz) ein wenig ziellos in der Gegend herum. Und The Banger’s Embrace lässt nach einem großartigen Anfang nach. Auf der anderen Seite stehen Stücke wie das eindringliche Dear Coach’s Corner oder der epische Abschlusstrack Last Will & Testament, bei dem sich Chris Hannah verbal so lange wie nie zuvor zurückhält. 7/10

Anspieltipps: Dear Coach’s Corner, Potemkin City Limits, Without Love

Sonntag, Mai 17, 2009

Green Day - 21st Century Breakdown


Protestoper. Fünf Jahre heben Green Day für den Nachfolger zu American Idiot gebraucht. Fünf Jahre, in denen viel passiert ist. Das offensichtlich wichtigste: W. ist nicht mehr Präsident der USA. Der Punkrock hat seinen Lieblingsfeind verloren. Worüber soll man jetzt noch Songs schreiben? NOFX zum Beispiel besinnen sich ihrer Wurzeln und machen wieder Nonsens, Propagandhi haben ihrer Inneres gefunden und singen jetzt sogar Liebeslieder. Und Green Day?

Die drei aus Oakland gehen ihren Weg ziemlich konsequent weiter. Schließlich ist seit dem 20. Januar nicht alles Friede, Freude, Pancake in den Vereinigten Staaten von Amerika. 21st Century Breakdown ist also abermals ein Konzeptalbum geworden. 3 Akte, 18 Songs, 2 Protagonisten, Politik, Religion und die Liebe handelt Billie Joe Armstrong auf 70 Minuten ab. Das ist viel Zeit, aber auch der ganz große Rundumschlag. Der rote Faden ist die Geschichte des pyromanisch veranlagten Christian, der immer auf der Suche nach Ärger ist und der idealistischen Gloria, in die Christian sich natürlich verlieben muss.

Green Day verpacken die sympathisch klischeehafte Story in anderthalb Dutzend Songs, bei denen - das muss man der Band lassen - erstaunlicherweise kein Totalausfall zu finden ist. Über 70 Minuten halten sie die Spannung hoch und präsentieren sich variantenreicher als auf American Idiot. Last Of The American Girls ist das bessere Whatsername und 21 Guns sticht Give Me Novocaine locker aus, um ein paar Songs zu vergleichen, die sich durchaus ähnlich sind. Denn Green Day bleiben Green Day. Neu und innovativ ist auch auf 21st Century Breakdown nichts. Die Einflüsse reichen vom frühen Bruce Springsteen über The Clash und Social Distortion bis zu Queen und schließlich zum späteren Springsteen.

Und im Bandkontext fühlt man sich an Warning (Viva La Gloria (Little Girl)), die Foxboro Hot Tubs (Horseshoes And Handgrenades) und natürlich American Idiot (Know Your Enemy) erinnert. Das Tempo bleibt über die ganze Platte hinweg höher als noch auf American Idiot. Es gibt nur eine lupenreine Ballade: Last Night On Earth fühlt sich mit den flirrenden Slidegitarren aber auch erfrischend anders an und nicht so stereotyp wie Boulevard Of Broken Dreams oder Wake Me Up When September Ends. Überall regiert die Abwechslung: Bei Restless Heart Syndrome übernehmen ab der Hälfte die quietschenden Gitarrenwände, 21 Guns versucht es erfolgreich mit Falsettgesang, Peacemaker dreht die Polka durch den Fleischwolf etc. pp. Es gibt also viel zu entdecken! 8/10

Anspieltipps: 21st Century Breakdown, East Jesus Nowhere, Horseshoes And Handgrenades

Sonntag, Mai 03, 2009

Trouble - Unplugged


Halbakustischer War-mal-Metal. Was für eine Mogelpackung! Unplugged steht in großen Lettern vorne auf dem Digipak. Und gerade bei Trouble scheint das ja auch eine logische Konsequenz zu sein. Wenn es eine Doom-Metal-Band gibt, deren Songs auch akustisch fantastisch funktionieren würden, dann doch die Mannen rund um Eric Wagner. Schon die letzte Studioplatte Simple Mind Condition war schließlich kein kompromissloser Metal.

Trouble übertreffen die Erwartungen sogar: Rain schwelgt geradezu im Schönklang zwischen Klavier und Akustikgitarre. Easy Listening ist angesagt. Auch Flowers und Requiem funktionieren. Ein Stück langsamer, mit getragenen Gitarren unterlegt und mit einem stimmlich vorsichtigem aber trotzdem souveränen Eric Wagner. Man wird daran erinnert, dass hinter den meisten Rocksongs eine simple Komposition steht: Melodie und Begleitung, eine Stimme und eine akustische Gitarre.

Und dann schleicht sich bei Smile die erste E-Gitarre ein. Clean, aber verstärkt. Fast ein Surfsound. Trouble bemühen sich, weiterhin traurig zu klingen, aber mit Beach-Boys-Gitarren klappt das nicht. Ab hier kippt die Platte, unplugged ist anders.

Unabhängig davon überzeugt auch die zweite Hälfte durch Abwechslung – nicht unbedingt eine Tugend des Doom Metal. Misery wird gegen Ende fast jazzig. Und danach versuchen sie überhaupt nicht mehr, sich als unplugged zu verkaufen. Was kommt, ist ein angezerrter Fast-Metal. Weder Fisch noch Fleisch, aber als Experiment durchaus spannend. Die Songs halten sich etwas zurück, ansonsten wären wir auf dem nächsten regulären Trouble-Album angelangt. (Das – ganz nebenbei – ja in der Mache ist, aber ohne Eric Wagner auskommen muss. Ersatzsänger Kory Clarke hat allerdings beileibe keine annähernd so markante Stimme.)

Alles in allem hört man, dass Unplugged zusammengewürfelt ist. Die Aufnahmen stammen aus ganz verschiedenen Epochen der Bandgeschichte. Der Übergang zwischen den fast-akustischen und den fast-elektrischen Songs ist ein wenig holprig. Aber die Songs wissen zu überzeugen, auch dank Eric Wagner. Trouble werden an dem Wegfall zu knabbern haben. 7/10

Anspieltipps: Flowers, Misery, Fly

Donnerstag, April 30, 2009

The Hold Steady - A Positive Rage


Barfruit Blues / Positive Jam. Nach vier Alben voller kleiner und großer Geschichten rund um Religion, Rock’n’Roll und Rauschmittel haben sich The Hold Steady einen Ruf als außergewöhnlich gute und gut gelaunte Liveband erspielt. Diesem Anspruch wird A Positive Rage leider nicht ganz gerecht. Vielleicht lässt sich das Bühnenerlebnis nicht so einfach auf kleine Plastikscheiben bannen.

Die Aufnahme, die The Hold Steady hier vorlegen, hat schon eine gewisse Zeit auf dem Buckel. An Helloween 2007, vor etwa anderthalb Jahren, spielte die Band im Metro in Chicago und lies den Rekorder mitlaufen. Dementsprechend fällt die Tracklist aus: Neun der 16 Songs stammen aus der Ära des dritten Albums Boys And Girls In America. Daneben gesellen sich Klassiker wie Your Little Hoodrat Friend, Barfruit Blues oder am Ende das obligatorische Killer Parties. Schön ist, das lange nicht nur Albumtracks, sondern auch die eine oder andere Rarität vertreten sind: You Gotta Dance (With Who You Came With) aus der Frühphase der Band; You Can Make Him Like You und Girls Like Status, zwei Songs, die es völlig zu Unrecht nicht aus Boys And Girls In America geschafft haben; und mit Ask Her For Adderall und Lord, I’m Discouraged zwei Songs, die erst für das 2008 erschienene Album Stay Positive geplant waren.

Für Abwechslung ist also gesorgt. Der Funke springt trotzdem nicht über. Zu wenig „live“ klingen die Songs, irgendwie heruntergespielt. Craig Finn, der ja eigentlich immer viel erzählt, hält sich zwischen den Songs meistens zurück. Vielleicht wurden seine Wortbeiträge auch einfach nur herausgeschnitten. Auf jeden Fall hört sich beispielsweise die über iTunes erhältliche Aufnahme vom Lollapalooza Festival 2006 wesentlich lebendiger an.

Wer A Positive Rage im Plattenladen kauft, erhält neben einer DVD mit einer Tourdokumentation auch noch einen Downloadcode für eine EP mit fünf B-Seiten aus der Stay Positive-Ära. Die DVD krankt nun leider gerade daran, dass viel zu viel geredet wird. „Less talk, more rock“ wäre hier besser gewesen. Die EP dagegen ist alles andere als Ausschussware. Zu dem wunderbar eingängigen und temporeichen Ask Her For Adderall gesellen sich vier Songs aus dem Midtempobereich., vollgepackt mit schönen Geschichten, Ohrwurmmelodien und zitatfähigen Textzeilen. 6/10

Anspieltipps: Stuck Between Stations, Girls Like Status, 40 Bucks (EP)

Mittwoch, April 29, 2009

Starvin Hungry - Cold Burns


Garagenkrach. Wenn sich hier zu Beginn die Gitarren durch die Garagenwand sägen, fällt kaum auf, dass da auch noch jemand singt. Oder besser „singt“. So sehr angezerrt ätzt sich der erste Song Ghost Witness aus den Boxen. Als Einstieg taugt das ja durchaus, aber auf die lange Strecke haben Starvin Hungry glücklicherweise auch noch einiges an Abwechslung zu bieten.

Das Tempo nimmt Cold Burns schon im dritten Track ein wenig raus. Der Kopfnicker-Blues von Left Hand Endeavor weiß trotzdem zu überzeugen. Im Hintergrund rackert sich der Bass ab, vorne knarzen die Gitarren und Sänger John Milchem lamentiert vor sich hin, als wäre es seine letzte Chance: „let me commit my crime“.

Meist disharmonisch und bis zum Anschlag verzerrt gehen die Songs trotzdem immer ins Ohr und in die Beine. Aber am besten sind Starvin Hungry, wenn sie ihren Sound etwas reduzieren. Eine angedeutete Melodie und klare Stimme machen zum Beispiel More zu einem der besten Songs der Platte. Wenn sie es nicht übertreiben, wird auch deutlich, wie viel Herzblut in der Musik der kanadischen Band steckt, mit welcher Wucht und Leidenschaft sie ihre Instrumente bedienen. Die Aufnahme bleibt immer ganz nah dran am Geschehen. Von der gelegentlichen und beabsichtigten Komplettübersteuerung abgesehen, brennt die Kälte sehr direkt im Gehörgang.

Wenn Future Of The Left mal eine Bluesplatte aufnehmen oder die Black Keys sich zwei zusätzliche Musiker würden, dürfte das Ergebnis ziemlich ähnlich klingen. Weitere Eckpunkte sind die Jon Spencer Blues Explosion oder auch Queens Of The Stone Age: Well Below The Bottom könnte so auch auf Era Vulgaris gelandet sein. Schön zu hören, dass Starvin Hungry sich gerade gegen Ende der kurzweiligen 37 Minuten noch einmal sehr variabel zeigen. Hier ist mehr drin als „schneller Blues“ und „mittelschneller Blues“. The Hammer ist schon fast ein Popsong, der ein paar Bier zuviel intus hat.

Und das abschließende P.B. ist ein richtiges Opus Magnum, in dem die ganze Platte noch mal in die Kanone gesteckt und durch die gegenüberliegende Garagenwand geschossen wird. Hauptsache, es geht was kaputt. 8/10

Anspieltipps: Ghost Witness, More, P.B.

Montag, April 27, 2009

NOFX - Coaster


Punkrockpunkrock. NOFX waren immer entweder lustig oder politisch oder beides. In letzter Zeit meist beides. The War On Errorism und Wolves In Wolves’ Clothing waren musikalisch vorhersehbar, zeigten die Band aber engagiert und mit Spaß an der Sache. NOFX hatten was zu sagen, wollten sich mitteilen. Umso befremdlicher ist jetzt Coaster.

12 Songs in 33 Minuten versprechen klassischen Punk Rock. Und eigentlich wird das auch geboten. Fat Mike und seine Mannen führen den Hörer trotzdem ständig in die Irre. Es beginnt mit dem Politik-Zaunpfahl We Called It America. Nach dem Auftaktsolo klingt der Song von Sekunde zu Sekunde immer mehr nach Pennywise. Wenn dann im Refrain die „Whoas“ einsetzen, runzelt man das erste Mal die Stirn. Immerhin stellte die Band einst fest: „we never like to sing whoa“. Aber damit nicht genug. Was folgt, ist von den Texten her entweder erstaunlich gleichgültig, umständlich oder macht richtig Angst.

Zählen wir auf: Die Bridge im Opener klingt befremdlich gelangweilt. Songs wie First Call, My Orphan Year oder I Am An Alcoholic sind einfach nicht mehr lustig. Mike scheint eher bei seinem Psychiater auf der Couch zu liegen. Creeping Out Sara ist eine äußerst umständlich erzählte Story. Ebenso Eddie, Bruce And Paul: Ein Song über Iron Maiden? Im Ernst!?In drei Minuten sind Eddie, Bruce, Paul, Steve und Sampson in offensichtlich äußerst komplizierte Beziehungen miteinander verwickelt. Dann setzt die Metal-Coda ein, und lässt den Hörer veriwiirrt und noch mit dem letzten Nachklang des Falsett-Gesangs im Ohr zurück. In Best God In Show regt sich Mike zwar über den lieben Gott auf, aber eigentlich ist es ihm egal. Der nächste Song bringt es dann auf den Punkt: „nothing really matters“. Und noch eine Nummer weiter: „it feels pretty great to just give in / so just give in“.

Musikalisch bleiben NOFX einfach NOFX: schneller Punk Rock, hier und da ein eingeworfenes Solo, der obligatorische Ska-Song, irgendwo noch mal eine Strophe mit Trompete. Melody Core in mittlerem bis schnellen Tempo. Nur ganz am Ende, da spielt plötzlich ein Cello, warum auch immer. Aber der Hörer irrt ja sowieso schon etwas planlos in der Gegend herum. 7/10

Anspieltipps: We Called It America, Eddie, Bruce And Paul, One Million Coasters

Donnerstag, April 23, 2009

...And You Will Know Us By The Trail Of Dead - The Century Of Self


Prog-Rock-Indie-Krach-Bombast. Es beginnt, wie andere Platten enden. Jeder drischt auf sein Instrument ein: Gitarre, Klavier, ein paar Trommeln, was elektronisches. Alles spielt durcheinander, bis sich aus der Geräuschkulisse irgendwann eine Melodie herausschält. Dann verhallt alles und nach einem kurzen Fiepen befinden wir uns im Jahr 2002.

Musik kann eine Zeitmaschine sein, durch Zufall oder Absicht. Bei Trail Of Dead ist es wahrscheinlich Absicht. Nach dem finanziellen und vermarktungstechnischen Disaster So Divided sind sie wieder bei einem Indie-Label und machen wieder Indie-Rock. Songstrukturen und Lautstärkegrenzen, sauberer Gesang und schöner Klang fallen also jetzt wieder öfter hintenüber. Stattdessen ist Platz sich auszutoben. Far Pavilions und Isis Unveiled lassen da keine Zweifel aufkommen. Ausgedehnte Mittelteile, die ins redundante abgleiten, durchzogen von scheppernden Instrumenten und Nebengeräuschen machen die ersten Hördurchgänge mehr als anstrengend. Und plötzlich (aber auch wenig überraschend) kommt dann der Song zurückgestolpert. Isis Unveiled überschlägt sich gegen Ende geradezu. Gleich zwei Stücke hintereinander überschreiten die sechs Minuten.

Hinübergerettet haben sie aber den Bombast vom Worlds Apart und So Divided. Halcyon Days ertrinkt geradezu in Instrumenten, Chören und Effekten, bevor es nach drei Minuten ausklingt und sich dann Schicht um Schicht wieder aufrichtet. Erst zur Hälfte des Albums gibt es einen richtigen Hit, mit Strophen, Refrains und allem drum und dran. Fields Of Coal sticht zu diesem Zeitpunkt heraus aus all der künstlerischen Freiheit, die Trail Of Dead sich nehmen.

Der zweiten Hälfte geht dann leider etwas die Luft aus. Das ungestüme Vorwärtsgepolter weicht dem Piano. Durch das Album geht ein klarer Bruch. Conrad Keelys Stimme tritt in den Vordergrund und spätestens bei Inland Sea fällt negativ auf, dass der Mann einfach kein guter Sänger ist. Pictures Of An Only Child versinkt in Belanglosigkeit und einer furchtbar pathetischen Strophe. Trotzdem fallen hier immer noch Songperlen wie Luna Park ab. Oder Ascending, das abermals eine kleine Zeitreise - diesmal an den Anfang des Albums - vollführt und sich anhört, als würde die Band zwei Songs auf einmal spielen. Auch der Abschluss ist mit seiner Zirkus-Rhythmik und dem krachigen Chor versöhnlich. Trail Of Dead haben ein paar Beulen und gebrochene Knochen davongetragen, schlagen sich aber immer noch tapfer. 7/10

Anspieltipps: Isis Unveiled, Fields Of Coal, Luna Park

ASG - Win Us Over


ROCK. Hier ist Vorsicht geboten. ASG haben viel falsch gemacht. Sie haben ein Album mit dem Namen The Amplification Of Self-Gratification aufgenommen. Sie haben zu Beginn ihrer Karriere ziemlich unerträglichen Alternative-Core mit Screamo-Anteil gespielt. Und auf Win Us Over wirkt die Produktion im ersten Moment einen Tick zu fett, zu klischeebeladen. Große Fresse, nichts dahinter.

Das dem nicht so ist, wird relativ schnell deutlich. Der Opener Right Death Before ist ein sperriger Brocken von einem Song, getragen von einem Flageolett-Riff. Das stampfende Schlagzeug untermauert die allgegenwärtige Gitarrenwand. Da steckt Druck hinter. Und spätestens beim nächsten Song haben sie den Hörer dann. In einem Moment möchte man noch den Kopf schütteln, weil Sänger Jason Shi unbedingt gepresst ins Mikro schreien muss. Und dann erheben sich plötzlich flirrende Gitarrenlicks und fliegen gemeinsam mit der Gesangsmelodie und dem Hörer majestätisch in die Höhe.

Der Mut zur Melodie unterscheidet ASG von den meisten Bands aus der 70er-Hardrock-Revival-Schiene. Ähnlich wie Torche mischen sie eine ordentliche Portion Pop in ihre Songs. Und das funktioniert. Grandiose Hooklines wie in Low End Inside vermischen sich mit Ohrwurmmelodien, die beim Kopfnicken einfach hängen bleiben müssen.

Und dabei legt die Band immer ein ordentliches Tempo vor und verstrickt sich nicht in überlangen Kompositionen. Hier scheint der Einfluss vonBands wie Torche hindurch. Nahezu perfektioniert haben ASG ihren Stil in The Dull Blade und dem Gallop Song. In ersterem Stück nervt nicht mal mehr das Geschrei, so zielstrebig und durchdacht rollt der Song über den Hörer hinweg. Und Gallop Song könnte glatt das Lady In Black dieses Jahrtausends sein. Kitschig, aber mit unwiderstehlichem Drang nach vorne und in den Gehörgang. 8/10

Anspieltipps: Ballad Of Richard K., Gallop Song, Palm Springs

Wino - Punctuated Equilibrium


Doomed Blues. Da macht der Mann nach Jahrzehnten als Gitarrist und Sänger von Saint Vitus, The Obsessed, Place Of Skulls, Spirit Caravan und The Hidden Hand seine erste Soloplatte und verhaspelt sich plötzlich in der Belanglosigkeit. Punctuated Equilibrium fehlt der Zusammenhang. Hier spielt keine Band ihre neuen Songs, stattdessen präsentiert Wino seine oftmals skizzenhaften Songideen aus drei oder mehr Jahrzehnten.

Einiges – insbesondere die Instrumentalstücke – ist schlichtweg belanglos. Riffs in Reihe, Licks im Loop. Anderes ist durchaus schön. Wenn Wino sich die Zeit und Ruhe nimmt, Songs auszuformulieren, kommt einiges dabei rum, etwa der relaxte Blues von Smilin' Road. Immer schweben die 70er im Raum, statt Metal bekommen wir aber eher Blues serviert. Der Mann wird ja auch nicht jünger.

Begleitet wird Wino technisch einwandfei von Jean-Paul Gaster (Clutch) am Schlagzeug und Jon Blank (Rezin) am Bass. Auch die beiden könne aber nichts daran ändern, dass Stücke wie The Woman In The Orange Pants oder Wild Blue Yonder aus den Boxen ins Ohr und auf der anderen Seite gleich wieder raus in Richtung Bedeutungslosigkeit schweben. Auf Punctuated Equilibrium ist einfach zuviel Füllmaterial. Auf Albumlänge kann das einfach nicht überzeugen. Und das ist umso trauriger, da man von Wino besseres gewohnt ist. 4/10

Anspieltipps: Release Me, Smilin’ Road, Silver Lining

Mittwoch, April 22, 2009

Future Of The Left - Last Night I Saved Her From Vampires


Noise Rock. Und zwar mit Unterhaltungswert. Natürlich muss bei einer Band wie FotL am Anfang des Konzerts erstmal der Gitarrenverstärker den Geist aufgeben. Vielleicht war es auch nur ein Kabel. Auf jeden Fall macht der Vorfall klar, wo wir uns befinden: auf einer semiprofessionellen Liveaufnahme, die aber in all ihrer Unvollkommenheit und akustischen Unzulänglichkeit doch irgendwie den Charme der vielleicht krachigsten Rockband der Welt aus Wales deutlich macht.

Die mclusky-Nachfolgeband (Spätestens, wenn im Juni das zweite Album erscheint, will ich aber in keiner FotL-Rezension mehr das Wort „mclusky“ lesen.) spielt hier also laut, aber etwas dünn auf. Die Clubaufnahme aus dem September 2008 übermittelt ein wenig das Gefühl, man steht in einem Gang und hört die Band um ein paar Ecken spielen. Bei anderen Bands, die nicht so explizit Krach machen, wäre das ein echter Minuspunkt. Aber Krach ist Krach. Und so gniedelt sich die Band um Andy Falkous herrlich schräg durch ihr Set aus 13 Songs, 6 längeren und einigen weiteren kurzen Wortbeiträgen ihres Sängers. Auf der Bühne stehen dabei immer nur drei Leute. Das heißt, die Songs haben entweder eine Gitarre oder einen Synthie als Sowas-ähnliches-wie-Melodieinstrument.

Schon auf dem ersten Album Curses! präsentierte die Band einen wunderbar reduzierten Sound. Und so hört man auch auf Last Night… jeden verzerrten Basston, jeden trockenen Schlag, jeden schiefen Akkord, jede genölte oder geschriene Silbe. Nah dran ist das zweifellos. Aber für Neulinge manchmal auch etwas weit weg von „hörbar“.

Schön ist, dass unter den Songs gleich vier neue vertreten sind. Von denen schafft es allerdings nur einer auf das kommende Album Travels With Myself And Another. Diese Zwischenplatte ist etwas für Fans. Die freuen sich über Falkous’ Humor, die neuen Songs und die Live-Atmosphäre. Alle, die die Band noch nicht kennen, sollten es lieber mit Curses! versuchen. 6/10

Anspieltipps: Wrigley Scott, adeadenemyalwayssmellsgood, Cloak The Dagger

Mastodon - Crack The Skye


Metal. Mastodon haben ihre prähistorische Phase hinter sich gelassen und sind auf direktem Wege und mit einigem Getöse ins Weltraumzeitalter vorgestoßen. Spacig klingen nicht nur die (an vielen Stellen zweistelligen) Gitarren auf Crack The Skye. Auch die an vielen Stellen in den sieben Songs zu hörenden Synthies zeugen von der raschen Weiterentwicklung der Band. Oder ist es nur eine Fortentwicklung?

Denn man mag den vier Herren durchaus zu Recht vorwerfen, sich allzu weit von ihren Wurzeln entfernen. Kaum noch Gebrüll und Geschrei (vom Titeltrack mal abgesehen) zieht sich durch die Songs. Stattdessen singen Brent Hinds und Troy Sanders über weite Teile der Platte. Im ersten Song, Oblivion, stimmt auch noch Schlagzeuger Brenn Dailor mit ein. Von der Härte der ersten drei Alben geht viel verloren, aber es kommt dafür auch einiges hinzu.

Die Experimentierfreude der Band war noch nie so groß: Surfgitarren, proggige Rhythmen und Stakkato-Soli geben sich die Klinke in die Hand. Zwischendurch fallen Melodien vom Himmel, die sich fast poppig ins Ohr bohren. Keine Angst, es fehlt keinesfalls an Lautstärke. Die Gitarrenwände türmen sich regelmäßig in Schwindel erregende Höhen und nehmen gleichzeitig ordentlich Fahrt auf.

Wie variabel Mastodon mittlerweile klingen, machen am besten die beiden überlangen Tracks deutlich. The Czar beginnt mit einem Synthie-Intro und bleibt lange Zeit geradezu zahm. Die Hintergrundorgeln lassen mehr als einmal die 70er wieder aufleben, bevor mit einem ganz klassischen Break das Ruder von einem groovigen Riffgewitter übernommen wird. The Last Baron wechselt ständig die Rhythmen, Taktarten und Musikstile, schraubt sich nach oben, spaltet den Himmel und bohrt sich dann wieder tief in die metallene Erde. Und überhaupt: Nicht nur die beiden Gitarristen liefern Abwechslung am laufenden Band. Auch die Rhythmusfraktion drückt jeden Songteil ihren Stempel auf.

Inhaltlich sind Mastodon konsequent: Nach Feuer, Wasser und Erde ist Crack The Skye folgerichtig ein Konzeptalbum über die Luft. Die Story ist ein wenig verquer, dreht sich um schwarze Löcher, Zeitreisen und bald nicht mehr existente Zaren. Die lyrische Ausformulierung des Ganzen hätte durchaus etwas abwechslungsreicher sein können. Strophen und Refrains wiederholen sich teilweise arg häufig. 8/10

Anspieltipps: Oblivion, Quintessence, The Last Baron

Sonntag, Juli 15, 2007

Gov't Mule - High & Mighty


Blues Rock. Aus was für unglaublich guten Musikern die Band um Warren Haynes, den Gitarristen der Allman Brothers Band, besteht, wird wahrscheinlich erst live so richtig deutlich. Dass der Mann aber neben seinen virtuosen Fähigkeiten an der sechs- beziehungsweise zwölfseitigen Klampfe auch verdammt gute und variable Songs schreiben kann, hört man auf der neuesten Veröffentlichung von Gov’t Mule in beeindruckender Klarheit. Jenseits vom dogmatische Southern Rock wird der Blues technisch und stilistisch in alle Richtungen ausgelotet. Filigrane, aber trotzdem massive Riffs wechseln sich ab mit eher ruhigen und melodischen Slidegitarren. Schlagzeug, Bass und die erfreulicherweise überhaupt nicht penetranten Keyboards stehen Haynes’ Gitarrenspiel in nichts nach.

Der Opener Mr. High & Mighty ist so ein Einstieg, bei dem man sich fragt, warum die Band nirgendwo im Radio gespielt wird oder sonst wie prominent ist. Ein solcher Übersong zu Beginn lässt dann leider zunächst einmal den Rest der Platte ein wenig fade wirken. Es ist wohl vor allem der durchschnittlichen Songlänge der Platte und den langen Instrumentalteilen der ruhigeren Songs anzukreiden, dass sich während der ersten Hördurchläufe ein Gefühl der Beliebigkeit einstellt. Aber gut Ding will Weile haben und folglich ist High & Mighty ein klassisches Beispiel für einen Grower sondergleichen. Nachdem man die Strukturen der längen Songs einigermaßen durchblickt hat und sich auf Melodien, Akkorde etc. konzentrieren kann, lassen sich die Highlights kaum noch eingrenzen. Unring The Bell versucht den Ska ohne Blasinstrumente, Child Of The Earth triumphiert mit wunderbaren Melodiebögen und Brighter Days stellt klar, dass der erste Song keine Ausnahmeerscheinung bei dieser Band ist. Einen weiteren Kontrapunkt setzt Like Flies, das sich durch seine Psychedelik fast schon nach Chris Goss anhört.

Natürlich bleibt der Hörer nicht verschont von langen Soli und einem fast schon zu differenziertem Sound, normalerweise Merkmale des Otto-Normal-Prog-Rock-Albums, um die technischen Leistungen der einzelnen Musiker präsent werden zu lassen. Aber ein bisschen Angeben ist hier durchaus erlaubt. Hinter der großen Klappe steckt einiges! 9/10

Anspieltipps: Mr. High & Mighty, Child Of The Earth, Like Flies

Sonntag, Juli 08, 2007

Bad Religion - New Maps Of Hell


Punk Rock. Ist natürlich total aus der Mode, und das nicht erst seit gestern. Einige Bands versuchen, sich in ein hippes Nachbargenre zu retten und verzapfen seitdem weinerlichen Emo wie AFI. Andere wollen auf Gedeih und Verderb der Politik in den Hintern treten, scheitern aber an ihrer Engstirnigkeit, wie beispielsweise Anti-Flag, oder verrennen sich in den eigenen Zwangsvorstellungen, siehe NOFX. Und von vielen weiteren hat man seit Ewigkeiten nichts mehr gehört. In letztere Kategorie fallen irgendwie auch Bad Religion. Schließlich sollte dieses Album ursprünglich schon letztes Jahr erscheinen.

Nun haben wir Mitte 2007 und New Maps Of Hell rotiert endlich im CD-Player. Und obwohl man bei diesem Gerät keine Möglichkeit hat, die Geschwindigkeit einzustellen, fragt man sich zu Beginn, wann man denn aus Versehen den Knopf „schneller“ gedrückt hat. Denn Bad Religion legen vor wie Rancid auf ihrem 2000er Album. Die ersten drei Songs brauchen keine vier Minuten. Der Hörer ist sofort drin, der Opener 52 Seconds nach kurzer Zeit nur noch ein Schemen. Melodien schwirren aus den Lautsprechern, werden einem um die Ohren gehauen. Erst der siebte Song, die Single Honest Goodbye, nimmt die Geschwindigkeit ein wenig heraus. Die Platte klingt schon fast nach einem Befreiungsschlag, und das, obwohl Bad Religion eigentlich zuletzt zwei recht gute Alben nach der Rückkehr zu Epitaph veröffentlicht haben. Die Band legt zweifellos noch einmal eine Schippe drauf. Kompromisse werden hier keine gemacht. Akustik-Gitarren und Elektronik-Effekte wird man vergeblich suchen, einzig die zaghaften Klaviertöne von Fields Of Mars verkünden das nahe Ende dieses etwa 38minütigen Höllenritts.

Und natürlich sind die Texte politisch. Aber sie sind gleichzeitig differenziert und fordern kein plakatives New America, wie noch vor einigen Jahren oder bei einigen musikalischen Kollegen Bad Religion sind musikalisch in der Vergangenheit geblieben und haben alte Tugenden perfektioniert. Künstlerisch sind die jedoch weiter als die meisten. 8/10

Anspieltipps: Requiem For Dissent, Lost Pilgrim, Fields Of Mars

Mittwoch, Juni 20, 2007

Titan - A Raining Sun Of Light & Love, For You & You & You


Stoner Rock ist innovativ! Eine auf den ersten Blick paradoxe Aussage bekommt immer mehr Wahrheitsgehalt. Noch vor ein bis zwei Jahren konnte man den Verwesungsprozess schon mit bloßen Ohren hören. Der Wüstensound hatte irgendwie keinen Sand mehr im Getriebe. Die meisten Bands, die in Übersee oder Skandinavien unterwegs sind, kennt hierzulande nicht zu Unrecht niemand. Wer die letzten Platten von The Glasspack, Dozer, Truckfighters, The Awesome Machine, Spiritual Beggars etc. nicht gehört hat, hat auch nichts verpasst. Die hundertste Emoband war zweifellos spannender.

Allerdings tut sich was: Fu Manchu vermischen ihren alten Sound mit einer Menge Punk Rock, The Sword machen den Doom Metal fast schon massentauglich, Dead Meadow spielen in ihrer Nische wunderbaren Sumpfblues und jetzt kommen eben Titan. A Raining Sun Of Light & Love, For You & You & You besteht aus ganzen vier Musikstücken, die sich alle im Bereich von zehn Minuten bewegen. Es beginnt mit einer Akustikgitarre und nöligem Gesang: Two Gallants bekifft. Nach etwas über einer Minute setzt dann allerdings der Rest des Ensembles ein und Schlagzeug, Verzerrer, Gitarre, Verzerrer, Bas, Orgel und Verzerrer rollen sich gegenseitig durch die Wüste. Natürlich werden auch hier Riffs bis zum umfallen penetriert, aber Tempowechsel, eingebaute Soli, das sehr variable Schlagzeugspiel und der sehr warme (aber leider etwas dünne) Sound sorgen für einige Abwechslung, ohne die Songs kompositorisch auseinander fallen zu lassen: „[E]ven though there's a ton of music crammed into each track, it remains organic sounding, never overstuffed or overwrought.” (Stonerrock.com) Schade nur, dass es Gesang nur bis Minute 3:40 des ersten Songs gibt. Hier hätte die Band vielleicht noch weitere Punkte sammeln können. Andererseits sprechen wir hier ja nicht von Popsongs…

Zu Gute halten muss man der Band auf jeden Fall, dass sie überhaupt nicht nach Kyuss klingt und Geschmack beim Artwork bewiesen hat, beides keine Selbstverständlichkeiten in diesem Genre. Reinhören lohnt sich also für Leute, die der Wüste seit einiger Zeit enttäuscht den Rücken zugewandt haben. 7/10

Anspieltipp: Annals Of The Former Work

Montag, Juni 18, 2007

Biffy Clyro - Puzzle


Alternative Rock. „Die Progpoprock-Schotten mit den regelmäßig hässlichsten Coverbildern sind wieder da“, leitet Matthias Mante seine Rezension auf laut.de ein. Was dann folgt, ist kein Verriss, aber ein durchaus desillusionierter Text über die verlorenen Ecken und Kanten in der Musik von Biffy Clyro. Von „stumpfen Winkeln“ wird gesprochen. Puzzle sei „mitunter selbst für Radiolandschaften etwas zu berechenbar“. Eine Gegendarstellung!?

Fangen wir einfach an. Das Artwork der CD, des Booklets und auch begleitenden Singles sollte diesmal auf jeden Fall auch höheren Ansprüchen genügen. Kräftige Farben vermischen sich mit einer sehr passenden rätselhaften Optik. Die Musik ist allerdings nicht so leer wie der dargestellte Raum. Und um die Metapher konsequent auszureizen: Die Musik braucht wohl eher diesen großen Raum, um sich zu entfalten. Natürlich sind Biffy Clyro jetzt bei einem Majorlabel und ganz ehrlich: Das hört man den Songs auch an. Da aber auch „hier keine fiese Vorurteilsschmiede am Werk ist“ (Plattentests.de), will ich das nicht grundsätzlich negativ bewerten.

Biffy Clyro nähern sich dem Popsong an, fangen ihn ein, malen ihn bunt an und lassen ihn dann wieder frei. So verfügt der Opener Living Is A Problem Because Everything Dies nicht nur über Binsenweisheiten wie „I met God and he had nothing to say to me“, sondern auch über das nervigste (und großartigste) Intro der ersten Hälfte diesen Jahres und über ein pompöses Orchester. Die typisch verqueren Gitarrenlicks nehmen sich etwas zurück und die Songstrukturen sind im Durchschnitt simpler als noch auf Infinity Land. Das löst bei den Hörern positive wie negative Reaktionen aus, wie hier nachzulesen ist. Größter Aufhänger ist die unglaublich schmalzige (und wiederum großartige) Ballade Folding Stars. Allerdings ist diese auch ein Beweis dafür, dass Biffy Clyro in einer unheimlich großen Stilvielfalt gute Songs schreiben können: „Klassische“ Biffy-Songs wie A Whole Child Ago, As Dust Dances oder das monumentale Get Fucked Stud, minimalistische Kleinode wie Now I’m Everyone oder das naiv-stoische Who’s Got A Match? und eben auch den radio- und stadiontauglichen Rockhit (Saturday Superhouse, Semi-Mental). Eigentlich sollte man sich freuen, dass auch unter einem Majorlabel noch solch heterogene Alben möglich sind. Die Reduzierung auf das Wesentliche in den Songs steht Biffy Clyro erstaunlich gut. Stagnation wäre doch auch auf dem Komplexitätslevel von The Vertigo Of Bliss oder Infinity Land nicht wünschenswert. 9/10

Anspieltipps: A Whole Child Ago, Get Fucked Stud, Machines

Bad Religion - Into The Unknown


Space Rock. Oder so ähnlich. Dies ist NICHT das neue Album der Punk-Rock-Legende Bad Religion. Das erscheint Anfang Juli und wird dann natürlich auch rezensiert. Hier und heute schreibe ich über das zweite Album der Band, welches 1983 erschien und zweifelsfrei einen Einschnitt in der Bandgeschichte darstellt. Immerhin löste diese sich nach Veröffentlichung kreativ desillusioniert auf und startete erst zwei Jahre später mit dem Genre-Klassiker Suffer ein erfolgreiches „Comeback“. Into The Unknown ist heute auch nicht mehr erhältlich und wird wohl auch nicht mehr wieder veröffentlicht.

Warum das alles? Der Anfang dieses Textes, das Cover und die Zahl der Songs auf dem Album (acht!) deuten es schon an. Bad Religion haben das einzige Mal in ihrer Karriere einen riesigen stilistischen Schritt gewagt, bei dem sie offenbar gestolpert sind: Langsame und lange Songs, flächige Gitarren, viele Keyboards und typische 80er-Synthies und Anwandlungen von Prog-Rock-Strukturen finden sich hier über die Gesamtspielzeit von knapp 33 Minuten. Eigentlich ist das alles überhaupt nicht schlecht (für den ersten Versuch), kam aber verständlicherweise damals in den Kreisen, in denen sich die Band mit How Could Hell Be Any Worse? einigen Respekt verschafft hatte, einfach nicht an.

Wer sich auf die Songs einlässt, findet trotzdem typische Merkmale, die die Band auch heute noch auszeichnen, wie zum Beispiel der melodische Gesang inklusive Hintergrundchören und die kritischen Texte. Referenzen lassen sich im späteren Werk nur sehr spärlich finden: I Love My Computer (zu finden auf The New America) ist wohl der elektronischste Song der neueren Zeit, ist aber auch stärker rhythmisch betont. Weitere Anhaltspunkte sind der Schlussteil von Beyond Electric Dreams, die Songstruktur von To Another Abyss (beide auf The Empire Strikes First) oder entfernter die Strophe von The Defense (The Process Of Belief).

Wie bereits erwähnt ist die Platte nicht mehr käuflich zu erwerben, außer man ist bereit, bei eBay viel Geld zu investieren. (Natürlich bietet das Internet auch noch andere Möglichkeiten, die sich diesem speziellen Fall wohl in einer Grauzone befinden.) Wer also mal eine einfach sehr interessante und ungewöhnliche Seite an seiner Lieblings-Punk-Rock-Band entdecken will, sollte mal reinhören. Die zum Cover Passende Wertung: ∞/10

Anspieltipps: Billy Gnosis, Time And Disregard

Donnerstag, Juni 14, 2007

Goon Moon - Licker's Last Leg

Wundertütenmusik. Goon Moon ist das neue Projekt von Chris Goss (Masters Of Reality) und Jeordey White (Nine Inch Nails). Wobei „neu“ den Kern der Sache eigentlich nicht trifft. Schon 2005 erschien eine EP unter dem lustigen Namen I Got A Brand New Egg Layin’ Machine, die musikalisch allerdings relativ unbefriedigend war. Zwischen einzelnen Stücken, die sich mit einigen Abstrichen als Songs bezeichnen ließen, gab es viel Luft in Form von Gedudel und planlosem Geklimper. Pitchfork meinte halbwegs versöhnlich: „The musicians of Goon Moon have made [a] listenable record, while clearly unconcerned who listens to it.” 2007 ist aber nicht 2005…

12 Songs tun sich diesmal zu einem ganzen Album zusammen, kein einziger ist zwischengeschobenes Füllmaterial. Nicht umsonst erscheint das Album bei Ipecac Records: Musikalisch wird aus dem Vollen geschöpft. Goss und White komponieren so ziemlich jede Art von Musik-mit-Gitarren-drin, die man sich wünschen kann. Offenheit ist beim Hörer also auch deshalb erforderlich, da sich die Genre-Grenzen auch innerhalb eines Songs auflösen.

Nach dem leicht esoterischen Drumloop-Intro Apple Pie geschieht sofort die 180°-Wende mit My Machine. Feedback, Verzerrer und noisiges Rifflegen relativ schnell vor, bevor man merkt, dass Jeordie White irgendwie ein ganz guter Sänger ist und auch schon der Refrain einsetzt, der wieder nur aus Synthiegewaber und Stimme besteht. So kann, vielleicht auch: so sollte Prog Rock klingen. Goon Moon schaffen es, die Spannung auch im weiteren Verlauf des Albums aufrecht zu erhalten. Goss’ Gespür für interessante Melodiebögen, Hintergrundgesänge und Gitarrenriffs bestätigt sich immer wieder. Die Visions schreibt, für Freunde der Desert Sessions von QOTSA-Kopf Josh Homme sei Licker’s Last Leg genau die richtige Platte (Ausgabe 172). Da sich die beteiligten Musiker stark überschneiden (neben Goss und White unter anderem Dave Catching, Josh Freese und Josh Homme selbst), liegt der Vergleich nahe, aber Goon Moon sind doch noch ein Stück stringenter, eben mehr eine richtige Band. Feel Like This holt den Stoner aus dem Keller, Pin Eyed Boy könnte auch von den Masters Of Reality sein und Hardcore Q3 erinnert schließlich wieder an die verqueren Momente der Desert Sessions.

Die zweite Hälfte von Licker’s Last Leg gestaltet sich gleichermaßen abwechslungsreich. Tip Toe könnte mit mehr Gitarren auf Era Vulgaris (siehe unten) eine gute Figur machen. Mit Every Christian Lion Hearted Man Will Show You werden die Bee Gees gecovert (wunderbar!), Lay Down rockt noch mal eher ruhig und Balloon? eher räudig, bevor die Prog-Keule in Form des achtteiligen und fast zehn Minuten langen The Golden Ball ausgepackt wird. Den Abschluss bildet die schöne Ballade Built In A Bottle. Damit wäre die Wundertüte komplett ausgepackt. Es stellt sich heraus, dass sie offenbar groß genug für eine ganze Achterbahn war. Glücklicherweise muss man sich für eine weitere Fahrt nicht lange anstellen, sondern drückt einfach die Repeat-Taste. 9/10

Anspieltipps: My Machine, Balloon?, The Golden Ball

Mittwoch, Juni 13, 2007

Dinosaur Jr - Beyond

Schrammel-Indie. Der Autor dieser Zeilen ist wahrscheinlich zu jung, um diese Band rezensieren zu dürfen. Der Autor dieser Zeilen war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von You’re Living All Over Me runde zwei Jahre alt. Der Autor dieser Zeilen kannte Dinosaur Jr bis vor zwei Monaten überhaupt nicht. Im Angesichte des Scheiterhaufens denkt sich der Autor dieser Zeilen: „Das hier ist mein Blog, verdammt!“

Neben Trouble also an dieser Stelle eine weitere Band aus den 80ern. Vielleicht ist an der Retrowelle (siehe unten) doch etwas dran. Aber so lange sie Alben wie Beyond hervorbringt, darf die Welle gerne weiterrollen. Im Folgenden also Ansichten aus der Perspektive des Neuentdeckers.

„Schrammel-Indie“ scheint eine wunderbare Beschreibung für Dinosaur Jr zu sein. Das gilt sowohl für die älteren Werke als auch für diese neue Platte. Trotzdem kann man von einer Entwicklung sprechen. Die Songs sind seit 1988 auf jeden Fall moderner geworden. Im Vergleich zu Bug fällt ein wesentlich zielgerichteteres und effektiveres Songwriting fast sofort auf. Die wunderbaren Gitarrenmelodien fügen sich weich in die Umgebung ein, der verklärte Gesang passt perfekt. Und immer wenn J Mascis zum Solo ansetzt, schleicht sich ein zufriedenes, leicht wahnsinniges Grinsen auf das Gesicht des Hörers. Selbst wenn die Band ins Manische abdriftet (Pick Me Up) oder sich ins Metalland verirrt (It’s Me), scheint sie über den Dingen zu schweben. Das diese drei Typen auf der zwischenmenschlichen Ebene überhaupt nicht miteinander klarkamen/klarkommen, scheint angesichts der Musik absurd. Nicht, dass hier pausenlos Gutelaunemusik produziert wird, aber eigentlich schwingt immer ein positives Moment in den Songs. Die Single Been There All The Time ist mit ihren recht euphorischen Breaks das beste Beispiel dafür. Oder der Einstieg: Ein springendes und rennendes Gniedelsolo gibt ab der ersten Sekunde den Takt vor.

Die warme Produktion tut ihr übriges. Sogar Pitchfork nennt sie „crystalline“ und „nostalgic“. Seltsamerweise wurde im Wohnzimmer von J Mascis aufgenommen. Vielleicht ist die Heimeligkeit des Raumes irgendwie übergesprungen. Ich fühle mich jedenfalls zu Hause beim Hören dieser Platte, die „nur Teil eines riesigen, lebenden Fossils ist, dessen Nische mittlerweile überbevölkert sein mag“ (Plattentests.de) und trotzdem für mich eine neue musikalische Erfahrung darstellt. 8/10

Anspieltipps: Almost Ready, Pick Me Up, Back To Your Heart, Been There All The Time